Literatur und Sachbuch
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»Ein Kreis aus Salz« Sarah Beicht

 

Ein Kreis aus Salz

 

Wenn ich nachts aufwache und nicht mehr schlafen kann, stehe ich am Fenster und schaue in die Nacht hinaus, dieses dunkle schwere Tuch aus Samt. In immer gleichen Zyklen holt es mich aus meinen Träumen, immer um die Mitternacht und führt mich zum Geländer hin, das sich kalt und hart unter meinen Fingern anfühlt. Ich setze einen Fuß auf die unterste Sprosse, meine Zehen umklammern Metall und Rost, der sich rot auf meine Nägel legt. Schön sehen sie so aus, normalerweise mache ich mir nichts daraus, aber das gefällt mir nun mal ausgesprochen gut, auch wenn es nur für mich ist und für sie, für uns. Es ist schlimmer geworden, viel schlimmer, seit ich sie kenne. Wie ein getriebenes Tier fühle ich mich, sie legte einen Finger auf meine Lippen und ließ es frei und nun muss ich allein damit zurechtkommen. Aber ich bin nie alleine. Niemals. Manchmal ist es tröstlich, manchmal tödlich, nie alleine, wie bei einem Zwilling, einem Parasiten wohl eher. Immer ist es da. So ist es auch heute und ich schnaufe, atme ein und sauge die Luft in meine Lungen, die nach Frühling riecht, immer noch nach Sonne und Tau, und in den Flügeln Knospen schlägt und treibt.
Ich atme so stark ein, dass sich der Wind leicht dreht, er kehrt zurück und kann nicht anders, als die Wipfel der Bäume und Äste der Sträucher leise lautlos in meine Richtung zu ziehen. Ein paar Vögel geraten ins Straucheln, sind verwirrt und orientierungslos, taumeln und stolpern durch die Luft, bis mir der Atem stockt und sie wieder zur ihrem Kurs zurückfinden können. Ich halte nichts von so etwas. Doch es ist nicht still um mich herum, ich hör doch was, ein kleines Schlagen, Flattern, Schreien ganz nah dran an meinem Kopf. Ein Falter fliegt noch immer auf mich zu, gezogen an einem unsichtbaren Gummiband, und umkreist mich wie ein Mond mit Kratern auf den Flügeln und goldglänzenden Antennen. Da fängt der Falter langsam an zu tropfen, rinnt über meine Schultern, meinen Rücken und umhüllt mich ganz, legt den Arm um meine Arme und fährt an meiner Hüfte, meinen Waden entlang, bis mich sein pelziger Körper an den Knöcheln kitzelt. Umhüllt mich ganz und gar. Meine Haut scheint silbern, kostbar, unversehrt, doch Rubine legen sich um meinen Hals, die Handgelenke und die Schenkel. Und ich trage ein Gespinsterkleid, federleicht und weiß, und zart und sanft und zerbrechlich schön gehaucht. Ich soll sie wiedersehen, heute Nacht. Es muss sein. Ich kann nicht mehr. Was bringt es, immer nur den Mond anzuheulen, wenn man ihn nicht zu nutzen weiß, diesen Silbertaler ohne Wert, er kommt ja doch nicht näher, nur vom Rufen. Man muss sich schon selbst darum kümmern. Nach Kausalitäten ist nicht zu fragen, denn wie große Poeten doch sagen: Nach der Ebbe kommt die Flut. Nun es ist jedenfalls unausweichlich, dann mache ich es eben selbst, und nehme den Fuß vom Geländer, raffe mein Kleid, es hat kaum Gewicht in meiner Hand, und gehe in die Küche, in der Nacht, wie andere sich ein Glas Wasser holen, so hole ich mir Salz.
Auf den Dielen ziehe ich einen Kreis damit, um mich zu schützen, eine weiße Mauer ringsherum, die niemand je durchdringen kann, niemand kommt hinein und niemand mehr hinaus. Nichts ist einfacher und effektiver. Ich zünde eine Kerze an, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, reihum, und versuche, mich zu entspannen. Wenn man dabei atmet, geht es leichter. Ich hebe die Hände und schließe die Augen, hinzusehen wäre Betrug und überhaupt nicht förderlich. Einmal habe ich ein Lid gehoben, es war unerhört und grauenhaft, niemand sollte so etwas je zu Gesicht bekommen haben. Meine Schulter zuckt im Takt des Mischens, dann ziehe ich, dann lege ich, drei Stück vor mich hin. Die Kerzen flackern, so wie immer, ganz und gar nicht gespenstisch, nein, ganz und gar normal und wie schön sie tanzen, heiß orange am Docht entlang, Burlesque an einer rußigen Stange. Beim ersten Mal hat es sich genauso angefühlt und plötzlich stand sie da, die Karten haben sie angekündigt, ja, da gab es nichts zu deuten, ganz deutlich, unverkennbar: die Hohepriesterin, der Mond und der Gehängte auf dem Kopf. Das ist doch sie. Ich schaute so oft hin, es änderte ja doch nichts, und ich verstand, war schon gar nicht mehr überrascht, als ich ihre Schuhspitzen oben auf dem Treppenabsatz wippen sah, ungeduldig, voller Hast. Endlich.
Heute dauert es ein wenig länger. Ich muss mich konzentrieren, bin nicht ganz bei der Sache, vielleicht etwas zu sehr, aber ich sammle mich, sammle die Karten ein, noch einmal, wie beim letzten Mal, so schwer war das doch nicht, es braucht eben seine Zeit und sie braucht die ihre. Beim dritten Mal ist sie nun endlich da und steht nur dort und ist einfach. Sie ist, sie ist, es tickt und schlägt in meiner Brust, ein Hammer schlägt mir in den Bauch. Ich merke, dass ich blute, vielleicht ist das das Opfer, es tropft hinab und höhlt mich aus, als sei ich Stein. Es wird kälter, merklich, aber nicht für mich, ich schwitze, mir ist heiß, das Gespinst umschließt mich, das Salz entzieht mir das Blut Tropfen für Tropfen, bis ich fast so durchscheinend bin wie sie. Meine Kopfhaut schrumpft, es dauert nicht mehr lange und meine Fingernägel wachsen ihr entgegen und sie lächelt, ich kann es deutlich spüren, sie lacht und lässt mich warten, wa­rum kommt sie nicht, was hält sie auf, da wispert sie, Shhht, und krümmt den Finger zu sich her, kommen soll ich, so ist’s gut, als ich die Schritte tue, die mich näherbringen, immer weiter zu ihr hin und sie sagt: – Ja, komm her, ich will dir das Haar hinter die Ohren kämmen und dir ein Geheimnis zuflüstern. Sie holt mich zu sich, jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Vielleicht klappt es ja diesmal. Die Kerzen sind schon lange erloschen, nun ist der Samt auch in das Zimmer hereingeflossen und bedeckt den ganzen Boden. Umschwappt mir die Füße – ihre nicht, das traut er sich nicht, aber meine sind schon schwer und schwarz. Nur an sie kommt er nicht ran, denn Treppen muss ich zu ihr gehen, bis ganz nach oben, die Stufen hinauf, eine nach der anderen, wer eine überspringt, fängt ganz von vorne an, so ist sie, die Regel. Ich nehme meine Hände zu Hilfe, stütze mich ab und gewinne an Höhe, die Luft ist hier dünner, das sagt man doch so und ich fühle es deutlich, das Atmen fällt schwer und trotzdem muss es weitergehen, ich muss gehen. Ein Schmerz fährt mir in die Schläfen, mir wird schlecht und schwindelig, aber es nützt alles nichts, immer weiter, wenn sie ruft, gibt es einfach kein Zurück. Kurz bevor ich ankomme, kann ich schon ihren Atem riechen, auf meiner Haut, er beruhigt mich und ich fülle mich ganz aus damit, das wilde Tier beruhigt sich etwas, zieht die Krallen in die Pfoten, kratzt nicht mehr an der Tür aus Tafellack und schweigt. Ganz zahm und zart wie ein Zitronenfalter fliege ich die letzten Stufen hinauf und kann ihr nun in das Gesicht schauen, so hell und schön und rund und ihr Mund biegt sich zu einer roten Sichel, sie lacht, immerhin, dann kann ich auch lachen, erleichtert und erschöpft.
– Warum hast du mich geweckt, du weißt, dass ich gern lange schlafe, fragt sie mich, was kein Geheimnis ist und ein wenig schäme ich mich, weil ich es hätte besser wissen müssen. Aber was weiß mein Kopf schon, wenn er auf den Kissen liegt, nicht schlafen kann und grübelnd sich um die eigene Achse zu drehen versucht. Was weiß er denn schon. Gar nichts.
– Ich konnte nicht mehr länger warten, sage ich und wickele mir Gespinst um einen Finger, zupfe daran und vermeide es, in ihre Augen zu sehen, unzählbare Pupillen, scheint es mir. So viele blinzeln mich nun an, ziehen mich noch etwas näher und wenn sie mit den Lidern schlägt, hört es sich an wie Flügelrauschen von hundert dunkelblauen Schmetterlingen. Sie seufzt und lächelt immer noch, aber die Sichel wird zur Sense, etwas härter, etwas spitzer, und das Rot beginnt zu leuchten. Sie fährt mit dem Handrücken über meine Wange, an meinem Kinn entlang und ihr Griff ist rau wie Sandpapier auf meiner Haut. Streicht mir eine Strähne hinters Ohr, doch sagt sie nichts, nein, verrät mir wieder kein Geheimnis, streicht nur weiter überall entlang und hinterlässt Schorf, wo immer ihre Finger meine Haut berühren. Ich schaudere und weiche zurück, versuche die Treppe auszumachen, mit der Ferse an der Kante, aber da sind nur Wolken, ist nur Nebel, ganz weich und feucht ist es, kalt wie Eis und spitz wie Messer. Sie hält mich nun am Handgelenk, ich will das nicht, und versuche mich herauszuwinden, aber nichts kommt dagegen an, nicht gegen sie, ich weiß es ganz genau, es ist doch jedem überall bekannt. Einen Schritt macht sie auf mich zu, ihre Augen leuchten und schauen tief in mich hinein, ich spiegele mich in jedem einzelnen und dann spüre ich, wie ich nach hinten stolpere, die Treppe, sie ist wieder da, und das Tier in mir erwacht erneut, es fürchtet sich und heult und schreit. Dann fällt es und ich mit ihm, erst dachte ich, ich fliege, viel zu leicht, wie Federflaum, ein Vogel, der sich mausert und sich rupft, immer wieder, bis er kahl und rosa ist. Doch dann fliegen wir immer schneller, das Tier und ich, nach unten, nein, wir fallen, wie es brüllt und versucht, sich festzuhalten, tief in meinem Fleisch mit seinen Zähnen, zerren Bisse an den Sehnen und reißen Wunden, die nicht heilen wollen und nicht heilen können, immer wieder sind es diese Risse und dann schlagen wir dort auf, wie es passieren musste.
Stille umfängt uns, für den Moment ist es vorbei. Ich rolle mich auf die Seite, eng zusammen, ziehe die Knie an die Brust und streichle dem Tier mit zitternden Fingern über seinen Kopf, bis es leiser wird und nicht mehr so schwer atmen muss. Ich stehe langsam auf, zaghaft, als könnten die Knochen vom Aufprall noch im Nachhinein splittern und klopfe mir den Staub vom Körper. Er scheint so gut wie neu zu sein, das kenne ich schon, so ist es beinahe jedes Mal. Ein Klettern und Stürzen, ein Betteln und Schützen und als ich den Kreis durchbreche, wird das Salz so rot wie Rost, wie Kandiszucker, so unerträglich süß. Nicht lange und es wird von vorn beginnen, solange wird das Tier nicht ruhen, solange sie dort oben hängt und mein Blut mit ihrer Stimme singt.

 

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