Literatur und Sachbuch
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»Bevor das Vergessen beginnt« Ernst Heimes

 

Bevor das Vergessen beginnt – Bruttiger Begegnungen

 

Spätsommer 2018. Besuch bei Manfred Ostermann, dem früheren Ortsbürgermeister von Bruttig-Fankel. Seine Frau bittet mich herein, und als ich das schöne Bruchsteinhaus betrete und sie mich in die Winzerstube gleich links hinter der Haustür bittet, kommt es mir vor, als wäre ich erst gestern hier gewesen. Augenscheinlich hat sich nichts verändert. Aber Jahrzehnte sind vergangen, seit ich zuletzt hier war. Damals saß ich zusammen mit Manfred Ostermann und seiner Mutter an dem runden Tisch in der Mitte des Raumes. Sie war damals schon eine alte Frau, hatte die Zeit des Konzentrationslagers in Bruttig als Erwachsene miterlebt. Sie sprach über ihre noch sehr wachen Erinnerungen, die in meinem Buch Ich habe immer nur den Zaun gesehen nachgelesen werden können.
Heute sitzen Manfred Ostermann und ich allein an dem runden Tisch, sprechen über die Zeit, die inzwischen vergangen ist und vieles, was sich verändert hat. Die vielen Widerstände im Dorf von damals, sagt er, seien überwiegend dem Willen zu einer echten Auseinandersetzung mit der Ortsgeschichte gewichen. Auch und gerade ein Teil der jüngeren Generation zeige sich interessiert und gehe ohne Scheu mit den Geschehnissen der Vergangenheit um. Den Willen zur Aufarbeitung zeige auch die Restaurierung der ehemaligen Bruttiger Synagoge, die zu einem Kleinod, aber auch zu einem Ort der Erinnerung und Mahnung geworden sei.
Wir sprechen über Möglichkeiten einer künftigen Erinnerungskultur an das Bruttiger Konzentrationslager. Auch diesbezüglich, sagt Ostermann, machten sich derzeit manche im Ort Gedanken.
Vielleicht könnte sogar ein Gedenkraum in der ehemaligen Häftlingsbaracke entstehen, in der viele Jahre das Bruttiger Postamt untergebracht war, die sich derzeit in Privateigentum befindet, überlegt er. Das Gebäude sei aus seiner Sicht gut dazu geeignet, es grenzt direkt an die Hauptstraße, ist gut sichtbar und leicht zu erreichen.
Ostermann verrät mir noch eine andere Überlegung. Der Eingang zum Tunnel, sagt er, sei nach seiner Meinung mit geringem Aufwand wieder freizulegen. Das Tunnelgewölbe müsse gesichert werden. So würde der Eingangsbereich bis zu der von den Nazis eingebauten Verbunkerung sichtbar werden. Er stelle sich das ähnlich vor, wie er es beim Silberberg-Tunnel in Bad Neuenahr-Ahrweiler gesehen habe. Dort gebe es eine Gedenkstätte, weil der Tunnel als Zuflucht und Wohnort für rund 2500 Menschen gedient habe. Auch dieser Tunnel sei 1947 gesprengt worden, und der erste Deckeneinsturz befinde sich, ähnlich wie in Bruttig, kurz hinter dem Portal.
Neben einer Reihe von Schriftstücken und anderen Dokumenten legt mein Gastgeber ein Foto auf den Tisch, das ein Gemälde zeigt. In bunten Farben ist darauf ein Hafen mit Schiffen vor der Kulisse einer Stadt mit markanten Türmen und Gebäuden zu sehen.
Die sogenannte Speisesaalbaracke, die wegen ihrer Funktion und den direkt angrenzenden Appellplatz praktisch der Mittelpunkt des ehemaligen Konzentrationslagers war, ist von je her gut verschlossen. Sie wurde über die Jahrzehnte und wird bis heute von der Gemeinde und von Ortsvereinen als Lager und Abstellraum genutzt. Eine Zeit lang hat eine Kistenfabrik darin produziert. Auf einer ihrer Innenwände, sagt Ostermann, sei das Bild gemalt, das auf dem Foto zu sehen sei, groß, schätzungsweise in einem Format von 2 x 3 Meter. Derzeit sei es von allerhand Gegenständen zugestellt und weder zu erreichen, geschweige anzuschauen. Bei guter Gelegenheit habe er einmal das Foto gemacht, und er habe nach der Herkunft des Bildes geforscht. Aber niemand wisse Genaueres. Es sei, wie man sage, schon immer auf dem Putz der Innenwand der Baracke zu sehen gewesen. Daher sei er der Meinung, und das würde auch allgemein im Dorf angenommen, dass ein Häftling es gemalt habe. Beweisen könne man das allerdings nicht. Vielleicht zeige es den Heimatort eines Häftlings in Polen oder in Russland. Er halte die Darstellung für die typische Ansicht einer Hafenstadt an der Ostsee, wahrscheinlich aus der Erinnerung heraus gemalt.
Bei wiederholter Betrachtung des Bildes, fällt mir, lange nach unserem Gespräch, die Ähnlichkeit der abgebildeten Gebäude zur Silhouette Stockholms auf. Auch das Wasser und die Schiffe im Vordergrund würden zum Panorama der schwedischen Hauptstadt passen.
Nach wenigen Wochen verschaffte Manfred Ostermann mir Gelegenheit, die Baracke zu betreten – doch keine Chance, durch die hier abgestellten Gegenstände, wie Requisiten für das Weinfest und anderes mehr, einen Blick auf das Bild zu ergattern. Was auffällt, sind der überraschend feine Putz und der gelbliche Anstrich der Innenwände. Beide stammen, da ist Ostermann sicher, aus der Entstehungszeit der Baracke. Fast kunstvoll ist ein aufgemaltes Zierband etwa 20 Zentimeter unterhalb der Deckenkante zu nennen.
Ich erfahre, dass die Bruttiger in diesem Gebäude bereits 1946 Tanzveranstaltungen abhielten.
Der Wunsch nach Normalität war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges groß, sage ich. Ostermann nickt und antwortet: Sicher. Es war aber der falsche Ort für so etwas.

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