Literatur und Sachbuch
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»Ein Schuss verhallt in Ewigkeit« Hubert vom Venn

Erster Tag – Montag, 9. April

14.00 Uhr

 

Charly Nusselein starrte in seinem Wohnwagen in der deutschen Enklave Ruitzhof die leeren Seiten des ›temporary Storage.it‹, seinem geliebten Terminplaner, an.
Der starrte mit weißen Blättern zurück.
Die journalistische Welt würde also in den nächsten Tagen auf einen Erguss aus seiner Feder, die in Wirklichkeit natürlich ein Computer war, verzichten müssen.
Charly war dies egal: Mehrere kleine Beiträge für die ›Lokalzeit‹ des WDR aus Aachen und für die ›Landesschau‹ des SWR aus Mainz hatten sein Konto in einen Zustand versetzt, der sogar seinem Sachbearbeiter bei der Sparkasse in Kalterherberg ein Lächeln entlockt hatte.
Der Journalist beschloss daher, in den nächsten Tagen den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen.
Doch das Telefon riss ihn aus seinen Müßiggang-Träumen: »Nusselein, wer stört?«
Nach einem kurzen Schweigen meldete sich eine bekannte Stimme: »Holger Wienpahl vom SWR. Du erinnerst dich noch?«
»Klar, der Film über Weihnachten im Westen. Da haben wir in der Krippana in Losheim was zusammen gemacht«, antwortete Nusselein.
»Genau und jetzt plane ich was über den Eifelsteig, da könnte ich deine Hilfe brauchen – begleitender Journalismus, reine Recherche-Arbeit und am Ende auch einen Film.«
»Nur zu«, antwortete Nusselein.
»Also«, erklärte Wienpahl. »Eine Sabine Esser ist für uns seit heute auf dem Eifelsteig unterwegs. Wir wollen aber nichts mit Landschaft und schönen Gebäuden. Ihre Aufgabe ist es, uns von jeder Etappe jeden Tag ein typisches Gericht oder Getränk vorzustellen. Ich habe ihr deine Mailadresse gegeben. Du sollst ihre Berichte zunächst nur sammeln. Wenn sie in Trier angekommen ist, suchen wir uns für jeden Tag einen Gesprächspartner und fahren dann mit einem Kamerateam die Strecke ab. Du erzählst dann als ausgewiesener Eifelkenner kurz etwas zu jedem Ort und ich mache das Interview mit einer Köchin, einem Koch, Brauer, Schnapsbrenner, was weiß ich.«
»Hört sich nach freiem Essen an. Honorar wie immer?«, fragte Nusselein.
»Wie immer«, antwortete der SWR-Mann.
»Gut, dann soll mir das Mädel jeden Tag die Mail schicken«, sagte Nusselein dem Angebot zu:
»Die Wanderung wird 14 Tage dauern. Du meldest dich, wenn die in Trier angekommen ist«, fasste Holger Wienpahl zusammen.
»Mach ich, bis die Tage«, beendete Nusselein das Gespräch.

 

14.25 Uhr

Ob des bald fließenden Honorars beschloss er, das Fell des Bären schon einmal zu teilen und zwar mit sich selbst. Aus diesem Grunde plante er spontan einen Besuch bei Carmen Hensen im ›le Café‹ am Waldrand von Küchelscheid, da ihm der Sinn nach Bratkartoffeln mit Spiegeleiern stand. Zu Fuß wären das über eineinhalb Kilometer – so eine Strecke legt man in der Eifel nur im Auto zurück.
Charly Nusselein legte Festtagskleidung an (Das Beste von Gestern), verabschiedete sich von seinem Kater Incitatus, der sich beleidigt auf seinem verfusselten Sessel wegdrehte, da er es übel nahm, dass der Vorrat an ›Dreamies‹ nicht aufgefrischt worden war.
Charly startete seinen Uralt-Mazda, der noch einmal so gerade durch den TÜV gekommen war. Nach wenigen Sekunden erreichte er die Landesgrenze zu Belgien und bog in Küchelscheid auf die Straße ›Auf dem Hau‹ ab. Nach wenigen Metern bremste er, da er auf einem Wiesengrundstück ein Schild sah:

›Baugrundstück – Zu verkaufen – À vendre – Te koop‹

… und die Aachener Telefonnummer eines Maklerbüros.
Nusselein stutzte, sprach mit sich selbst, was er mangels Partnerschaft oft tat – von Incitatus natürlich abgesehen: »Das wäre doch mal was, und der Umzug aus Ruitzhof ist schnell geschafft. Gut, ein Umzug nach Belgien wird einigen Stress verursachen: Ummelden, belgisches Nummernschild und Internet, vielleicht so gerade noch deutsches Handynetz, aber das würde ich alles noch hinkriegen.«
Er notierte die Telefonnummer auf einem Papiertaschentuch und fuhr zum Café.
Carmen Hensen saß, da die Frühlingssonne es zuließ, mit einigen Einheimischen vor ihrer Taverne. Nachdem der Journalist sein Tagesleibgericht sowie ein ›Leffe bruin‹ bestellt hatte, hielt er Carmen zurück: »Da unten wird ein Baugrundstück verkauft, wem gehört das?«
Carmen Hensen zuckte mit den Schultern: »Keine Ahnung, Fremde, nicht von hier. Wohl so ne Erbensache. Frag’ die da.«
Damit zeigte sie auf den Tisch der Einheimischen, die nach den Gläsern zu urteilen eine gemeinsame Affinität für ›Westmalle tripel‹ hatten. Nusselein kannte die meisten Männer vom Sehen, Namen allerdings nicht. Er stand auf und ging zu dem Tisch rüber:
»Tach z’sammen. Weiß einer von euch, wer da unten das Grundstück verkauft?«
Die Männer schüttelten die Köpfe. Einer erklärte: »Da ist schon jahrelang nichts mehr dran getan worden. Gemäht wird einmal im Jahr von so ner Firma aus Mützenich, die mit den grünen Riesentraktoren. Frag doch da mal nach.«
Nusselein nickte, gab sich zufrieden und lenkte das Interesse nun ganz auf sein Bier sowie etwas später auf die Bratkartoffeln nebst Spiegeleiern. Als er bezahlt hatte und gerade gehen wollte, rief einer der Männer: »Kannst du mich bis unten an die Brücke mitnehmen? Bin was müde.«
Carmen lästerte: »Der Lehrer ist nur zu faul zum Laufen.«
Nusselein nickte und wenig später saß der Mann auf seinem Beifahrersitz: »Ich bin der Erwin Mertens. Wollte das vorhin nicht vor den anderen sagen: Lass die Finger von dem Grundstück, da klebt Blut dran.«
Nusselein wurde hellhörig, sah sich schon mit einem Kamerateam anrücken: »Erzähl!«
Mertens schüttelte den Kopf: »Das ist ne lange Geschichte. Eigentlich will ich darüber nicht reden. Wenn ein Kuhfladen getrocknet ist, kommt nämlich immer ein alder Össel wie ich und stochert darin rum.«
»Du weißt, ich bin Journalist und zur Verschwiegenheit verpflichtet.«
»Ja, ich weiß. Hat sich alles kurz nach dem Kriege abgespielt. War ne verrückte Zeit. Ich war damals noch ein Kind, weiß das meiste aus den Erzählungen meiner Eltern. Ist vieles auch nie aufgeklärt worden.«
»Was ist nie aufgeklärt worden?«, bohrte Nusselein nach.
»Na, die Schießerei ohne Leiche und der angebliche Selbstmord von dem halven Jeck!«
»Jetzt haste mich aber neugierig gemacht.«
»Gut, wenn du meinen Namen nicht nennst.«
»Großes Indianer-Ehrenwort!«
»Indianer habe ich hier noch nie gesehen.«
»Nur, so en Spruch.«
»Ich weiß, bin ja nicht blöd. Wollen wir uns morgen da vorne bei Martha in der ›Taverne A’Lutze‹ treffen? So um 11 Uhr, da sind wir ungestört. Und für mich ist es nicht so weit.«
Nusselein fragte noch einmal nach: »Warum sagte Carmen gerade Lehrer?«
Mertens lachte: »Weil ich einer war – jahrelang, in Kalterherberg. Habe damals als Belgier an der PH in Aachen studiert und immer nur in Deutschland unterrichtet.«
Mertens tippte kurz an seine Kappe, verabschiedete sich und schlurfte in Richtung eines restaurierten Bauernhauses davon, direkt an der Rur gelegen.
Nusselein überlegte: Sollte er schon einmal das Maklerbüro in Aachen anrufen oder lieber nach Imgenbroich fahren, um dort einen Riesenvorrat an ›Dreamies‹ zu kaufen? Immerhin darf man es sich nach so vielen Jahren des Zusammenlebens nicht mit seinem Kater verscherzen.
Nusselein gab Gas und fuhr Richtung Katzenfutter davon.
Da auf WDR 4 ›One Way Wind‹ von ›The Cats‹ dudelte, sah Nusselein darin wieder einmal einen Fingerzeig seines persönlichen Gottes, den er ›Herr Schlüter‹ nannte.

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