Literatur und Sachbuch
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»Mosel – Winzer – Intriganten« Peter Wierichs

 


Prolog: Winter 1849/50

 

Schon seit Wochen goss es wie aus Kübeln. Längst hatte der Fluss sein Bett verlassen und zunächst die zahlreichen Buhnen überflutet, die sein Temperament bremsen sollten, dann den sandigen Uferstreifen. Nun tastete er mit nassen Fingern nach den Schobeln, den Ställen und Wohnhäusern der Menschen. Die Straßen und Gassen Bernkastels lagen verlassen da, als wüte die Pest im Städtchen, viele Fenster blieben auch an diesem Abend dunkel, weil die Bewohner an Licht sparen mussten. Nur aus einem Fachwerkhaus an der Kallenfelsstraße fiel durch winzige Fenster ein flackernder Schein, drangen laute, manchmal erregte Stimmen auf die steil ansteigende Gasse mit ihrem groben Pflaster. Dort, in der engen, verräucherten Gaststube versuchten ein paar Männer, sich das schlechte Wetter und die Einsicht in eine allgemeine Misere samt gescheiterter Revolution schönzutrinken. Nur in gehobener Stimmung vergaß man die Knute der Preußenherrschaft, denn der König in Berlin samt seinen Helfershelfern in der Rheinprovinz und vor Ort hatte das Land inzwischen wieder voll im Griff.
Gerade setzte einer der Männer sein Weinglas an den Mund und stimmte dann ein melancholisches Lied an, das die gedrückte Stimmung nach dem Ende der Kämpfe um mehr Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdruck brachte:

’S ist wieder März geworden,
von Frühling keine Spur.
Ein kalter Wind aus Norden
erstarret rings die Flur.

Diesem neuen, rauen Wind der Reaktion entsprechend, der auch durch das Moseltal wehte, beschränkte sich der Verfasser auf Bilder und Anspielungen, sprach von üppig blühenden »Pfaffenhütchen«, vom »Wütrich«, von »Königskerzen« und dem überall dicht wachsenden »Zittergras«. Damit meinte er natürlich die nach den Anfeindungen durch einen Teil der Revolutionäre wieder erstarkte Kirche, den rabiat durchgreifenden Staat und einen König, dem nun alle wieder bedingungslos zu gehorchen hatten. Vor diesen Institutionen zitterten die verunsicherten Bürger. Nur in einer einzigen Strophe wurde der Liedtext etwas deutlicher:

Der März ist wohl erschienen.
Doch ward es Frühling? – Nein!
Der Lenz kann uns nur grünen
im Freiheitssonnenschein.

Zögernd stimmten die Zechgenossen ein, und nun klang ein schwermütiger Chor gegen die niedrige Balkendecke. Nur ein einzelner, schmächtiger Mann, der kaum merklich von den anderen abgerückt war, obwohl er augenscheinlich mit zu der Gruppe gehörte, hielt seinen Mund geradezu demonstrativ geschlossen.
Jetzt verklang der Gesang, und ein lastendes Schweigen machte sich breit, während die Männer weiterhin üppige Rauchschwaden produzierten. Endlich brach ein großer, stattlicher Mann das Schweigen: »Et hat wirklich nix gebracht«, stellte er seufzend fest.
»Rein gar nix«, pflichtete ihm ein zweiter bei. »Mir zahlen immer noch Steuern für einen Wein, wo mir nit verkaufen können …«
»›Die Trauben und das Elend blüh’n an der Mosel‹, soll in Berlin in ’ner Zeitung gestanden haben. Un wat tut die Regierung dagegen? Nix!«
»Nix außer Steuern abkassieren«, warf ein dritter wütend ein.
»Un die Leut’ ausspionieren«, rief der erste. »Überall schnüffeln preußische Spitzel erum. Man sagt wat, wenn man unner de Leut’ geht un’n Glas Wein trinkt, un schon hat man ’ne Anzeige weg. ›Anstiftung zum Aufruhr‹ heißt et dann. Vor der Revolution war et ja schon ziemlich schlimm, aber jetzt is et noch viel schlimmer …«
»Aber dat is ja noch nit emal dat schlimmste«, rief ein anderer. »Et gibt einfach zu viele Denunzianten. Wenn einer mit seinem Nachbarn noch’n Hühnchen zu rupfen hat, fällt ihm oft nix besseres ein, als zu melden, dat der Betreffende im letzten Jahr vielleicht doch mit ’ner Flinte in der Stadt erumgelaufen is. Oder dat der irgendwann mal über die Preußenwirtschaft geschimpft hat. Un schon kriegt der Ärger. Sogar wenn einer nur mal dumm erumschwätzt, gibt et vielleicht ’nen anneren, der dat mitkriegt un ihn an’t Messer liefert.«
»In Wintrich han se nu sogar den Herrn Pfarrer Kranz versetzt, weil der letztes Jahr für die Revolution gepredigt hat. Der Neue is natürlich fest auf Linie. Un nu geh’n die Leut’ in Wintrich nit mehr zu dem in de Kirch’. Sie laufen lieber bis Dusemond oder setzen über nach Minheim, wenn se in de Mess’ wollen.«
»Meinen Nachbarn han se eingesteckt, weil der im besoffenen Kopp dat Heckerlied gesungen hat. Als hätt’ der gestohlen oder betrogen.« Er warf einen Blick in die Runde. »Hier weiß man wenigstens, wer mit am Tisch sitzt …«
Mit jedem neuen Glas Wein wurde die Diskussion hitziger, schallten die Stimmen lauter durch den kleinen Gastraum. Wenn ein allzu derbes Kraftwort fiel oder ein Ausdruck wie »Vaterlandsverräter« oder gar »Preußenhunde«, runzelte der hinter seinem winzigen Tresen hantierende Wirt jedesmal missbilligend die Stirn und blickte sorgenvoll zu seinen Gästen herüber. Doch dann wurde jedesmal wieder ein neuer Krug Wein geordert, und der Wirt tauchte unter dem hufeisenförmigen Bogen mit der halb offenstehenden Brettertür ab, um das Gefäß im Keller aufzufüllen. Wenn er dann wieder in der Oberwelt erschien, klangen die Stimmen erneut ein wenig zorniger, waren die Gesichter in noch tieferem Rot angelaufen, war der Volkszorn noch um ein paar weitere Grade hochgekocht.
Nur der kleine, unscheinbare Mann, der inzwischen noch ein wenig mehr von den übrigen Zechern abgerückt war und an seinem Glas nur nippte, beteiligte sich nach wie vor nicht an der Diskussion. Sein schmales, unauffälliges Gesicht drückte Missbilligung, ja Unverständnis aus angesichts der widerborstigen Reden, die hier geschwungen wurden. Es war der Schneider Jansen, ein Zuzug aus dem niederrheinischen Städtchen Kempen, ein stiller, bescheidener, gottesfürchtiger Mann, der freiwillig kaum je eine Weinstube betreten haben würde. Heute hatte er aber bei einem seiner besten Kunden zu tun gehabt, einem der Herren, die jetzt lautstarke Reden führten, und sein Auftraggeber hatte ihn quasi genötigt, nach der letzten Anprobe noch ein Glas mit ihm trinken zu gehen. Natürlich hatte Jansen es nicht gewagt, diese Einladung auszuschlagen, denn Kunden, die großzügig Aufträge erteilten, die geleistete Arbeit umgehend bezahlten und dann auch noch regelmäßig wiederkamen, waren in Zeiten wie diesen dünn gesät. Nun hockte Jansen also auf der schmalen Holzbank und fühlte sich alles andere als wohl in dieser Runde. Er war von Anfang an gegen die Revolution gewesen, weil er überhaupt nichts von Zeitgenossen hielt, die es wagten, eine Herrschaft »von Gottes Gnaden« in Frage zu stellen und eine seit Jahrhunderten bestehende Ordnung umstürzen zu wollen. Sogar für Geistliche wie den Pfarrer Kranz aus Wintrich oder den Kaplan Ohaus aus Bernkastel, die seiner Meinung nach ihren Glauben verraten hatten, verspürte er wenig Sympathie. Einfach aufzustehen und die Weinstube zu verlassen traute er sich aber nicht und schon gar nicht zu protestieren, da ihm nichts mehr zuwider war, als Aufsehen zu erregen. So saß er mit steinerner Miene zwischen den lautstarken Zechern. Erst als sich bei ihm ein gewisses Bedürfnis meldete, stand er schweigend auf und verließ die Gaststube durch eine schmale Hintertür, die auf einen engen Innenhof führte.
Als er sein Geschäft verrichtet hatte und die Gaststube wieder betrat, erreichte die aufrührerische Stimmung gerade einen neuen Höhepunkt. Nun wurden lautstark »Stückelcher« von den Heldentaten im November 1848 zum besten gegeben, als es ein einziges Mal gelungen war, die Preußen aus der Stadt zu vertreiben, um den örtlichen Revolutionsführer Peter Joseph Coblenz samt seinen Anhängern vor einer Verhaftung zu bewahren. Einen halben Tag lang war Bernkastel frei gewesen, eine Art Freie Republik, wie die Revolutionäre sie sich erträumten, im Kleinformat gewissermaßen. Aber schon in der darauffolgenden Nacht waren die Preußen zurückgekommen, mit Soldaten und Kanonen, um das aufmüpfige Städtchen wieder unter ihre Fuchtel zu bringen. Von diesen weiteren Ereignissen war jetzt allerdings wohlweislich nicht die Rede. Stattdessen wurde der schmachvolle Auszug der preußischen Beamten quer durch die ganze Stadt noch einmal genussvoll ausgemalt, einschließlich all der Schimpfwörter und Beleidigungen, die ihnen samt einiger Steine an den Kopf geflogen waren, als sie davonzogen wie geprügelte Hunde und nur dank der Soldaten, die sie eskortierten, vor schlimmerem bewahrt werden konnten, und das alles zu flotter Musik. Vor dem Stadttor in Richtung Veldenz mussten die in die Flucht Geschlagenen dann an einer Phalanx erboster Bürger vorüberdefilieren und sich noch einmal Lästereien und Beschimpfungen anhören, wozu die Musik das Lied »Kein schöner Land in dieser Zeit« spielte. Je länger erzählt wurde, desto mehr redeten sich die Männer in Hitze, als sei das Jahr 1848 noch einmal zurückgekommen, und der Wind der Freiheit wehe wieder durch das Moseltal. Dann stimmte einer der Männer unvermittelt eines der drastischeren Lieder von damals an:

Ein Jäger aus Kurpfalz,
hat seinem Fürst den Arsch geleckt,
jetzt stinkt er aus dem Hals …

Den drei Versen folgte ein ebenso lust- wie kraftvolles »Juja, juja, hat seinem Fürst den Arsch geleckt …«, bei deutlicher Betonung dieses edlen Körperteils.

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