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»Der Krieg 1870/71« Ferdinand Viebig

 

Meine Ausbildung als Einjährig-Freiwilliger

 

Am 1. Januar 1870 erwachte ich ohne das inzwischen abgeschaffte zweite Examen als wohlbestallter Referendar, war aber wie oben erwähnt bereits am 01. April 1869 als Einjährig-Freiwilliger (Anm. 3) bei der 4. Kompagnie des Niederrheinischen Füsilier-Regiments Nr. 39 (Anm. 4) eingetreten. –
Die Kaserne der »Nüngendrüxiger« und die Ulanenkaserne, beide nur durch die heute allein noch stehende Garnisonkirche, lagen in der Kasernenstrasse ungefähr da, wo jetzt die neue Oberpostdirektion, das Schauspielhaus, die neue Synagoge, der rote Bankpalast und andere Gebäude stehen, und dahinter dehnte sich bis zum Kanal an der Königsallee der jetzt vor lauter neuen Strassenzügen durchquerte Exerzierplatz aus. Dort lernte ich die Beine strecken und das Gewehr anfassen – »Fasst das Gewehr an«, so lautete ein jetzt verschollenes Kommando – und dort fühlte ich den ersten Affen (Anm. 5), darin den ersten Sandsack auf dem Buckel, bis ich endlich fähig war, mit dem Bataillon im Dünensande der Golzheimer Heide zu waten.
Im Allgemeinen kann ich über schlechte Behandlung beim Militär nicht klagen, wenn es mir auch zunächst keineswegs leicht wurde, mich in des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr zu fügen, nachdem ich das freie Studentenleben genossen und mich bereits als höheren Justizbeamten fühlen gelernt hatte. Sergeant Wippler, dem unsere erste Ausbildung übertragen wurde, sorgte für unfreiwillige Komik. »Der Viebig steht wieder da wie die Gans wenns wittert.« Oder beim Präsentieren des Gewehrs: »Die rechte Hand ist nur zum Schauder da.« (Er meinte damit »zur Schau«). In den Unterrichtsstunden wurden auch schriftliche Arbeiten gemacht, und als einer meiner Kameraden sich dahin äusserte, dass der militärische Briefstil kurz und bündig sein müsse, verzierte Wippler das Wort bündig mit zwei roten Strichen und verbesserte »kurz und pintig«. Jeden Vormittag zog Wippler ganz kameradschaftlich mit zum Frühstück in eine benachbarte Kneipe, nahm übrigens bescheiden mit einem Glas Bier und einem Zipfel Leberwurst vorlieb und schimpfte eine Viertstunde später wieder wacker auf uns los. Einige Jahre später hatten wir die Rollen vertauscht. Ich war Staatsprokurator (staatl. Prozessbevollmächtigter) in Coblenz, da erschien eines Tages der Polizeisergeant Wippler aus Simmern vor den Schranken des Zuchtpolizeigerichts und hatte sich wegen Misshandlung im Amte zu verantworten. Er hatte einen Arrestanten, der ihm nicht gutwillig folgen wollte, zunächst auf eine Karre gebunden, dann aber auf dem Transport durch die Stadt mit Säbelhieben derart zugerichtet, dass ich auf Grund des § 340 des Strafgesetzbuches 4 Monate Gefängnis beantragen zu müssen glaubte. Ob er mich in meiner schwarzen Robe wiedererkannt hat, weiss ich nicht; aber ich habe ihn gut erkannt.

Nach der Einstellung in der Kompagnie kam ich in die Korporalschaft des Sergeanten Lagermann, genannt »der schöne Lagermann«. Er beehrte mich zwar mit seiner Freundschaft und war tief gekränkt, als ich in einem Manöverquartier nicht gern mit ihm in einem Bette schlafen wollte, war aber wegen seines Jähzorns nur mit Vorsicht zu geniessen. Wenn ihm etwas auf der Stube nicht passte, liess er die armen Kerle antreten, mit beiden Händen einen Schemel fassen und kommandierte: »Stillgestanden! Fersen hebt! In den Knien beugt! Arme vorwärts streckt!« So liess er sie stehen, bis sie anfingen zu wackeln und umzufallen. Dann allerdings war sein Zorn verraucht, und er backte vor versammeltem Kriegsvolk seinen abendlichen Pfannekuchen, worin er eine besondere Virtuosität besass. Für 2 Pfennige Mehl, dazu ein Ei, eine Zwiebel und etwas Speck, und fertig ist die Laube. Später soll er ganz verrückt geworden sein, sodass er schon bei der Mobilmachung 1870 nicht mehr zur Stelle war. Bald kamen auch die ersten Wachen, die mich jedes Mal ungezählte Krüge Bieres für die mitbeteiligten Mannschaften kosteten. Mutter schickte mir durch meinen Putzkameraden immer ein besonders gutes Mittags- und Abendessen, aber im Allgemeinen schätzte ich diese Wachen wenig. Vor dem Jägerhof Posten zu stehen, wo damals seine Königliche Hoheit der Fürst Karl von Hohenzollern (Anm. 6) residierte, und jetzt nach Niederlegung der beiden Seitenflügel der Oberbürgermeister seine Wohnung hat, und in dem jetzt gleichfalls verschwundenen Marstallgebäude (herrschaftlicher Pferdestall) in der Pempelforterstrasse auf der Pritsche zu kampieren, das ging allenfalls noch an; aber draussen bei Wind und Wetter am Pulvermagazin in finstrer Mitternacht so einsam auf der fernen Wacht (Anm. 7) zu stehen, das war kein Genuss, und man war froh, wenn sich hie und da ein anderer Füsilier (Infanterist) für Geld und gute Worte zur Uebernahme einer Nachtschicht anbot. Im zweiten Halbjahr kam der Gefreite Viebig schon als Kommandant auf Pulverwache, aber auch das war ein mässiges Vergnügen und wurde mir durch einen ärgerlichen Zwischenfall noch besonders versalzen. Der Wachhabende muss sich von seinem Vorgänger u. a. auch das Inventar übergeben lassen und die Richtigkeit im Wachbuch bescheinigen. Natürlich tut man das auf Treu und Glauben und keinem Menschen fällt es ein, die Brocken näher nachzuprüfen. Als ich aber am folgenden Mittag abgelöst wurde, vermisste mein Nachfolger eine schon seit Jahr und Tag fehlende Leiter, die sicherlich längst den Weg in den Ofen gefunden hatte, und darüber musste die Intendantur nun Ströme von Tinte vergiessen. »Die preussische Armee wird noch mal im Tintenfass untergehen«, habe ich mal irgendwo gelesen. Einstweilen aber durfte ich die Leiter bezahlen und das Vaterland war gerettet. Im Jahre 1871 war ich bei der Okkupationsarmee (Besatzungsarmee) in Frankreich mit der Abnahme einer Victualienlieferung (Lebensmittellieferung) beauftragt, und als ich eine gelieferte Speckseite als ranzig beanstanden zu müssen glaubte, bekam ich einen Rüffel, weil alle anderen Abnehmer den Speck als tadellos befunden hatten.

Das Herbstmanöver 1869 führte uns an die Ruhr nach Werden und Essen, und ich besitze noch einen am 05. September aus Heidhausen (jetzt Stadtteil von Essen) bei Werden an meine Eltern gerichteten Brief. Bei dieser Gelegenheit lernte ich zum ersten Male auch das freundliche Städtchen Kettwig, die später öfters von mir besuchte Heimat meiner Schwiegertochter Hedde (Anm. 8) kennen. Der Feind lag in Kettwig, wir waren auf Vorposten und in einer dunklen Nebelnacht führte Major von Wichmann unser ganzes Bataillon auf Schleichpfaden lautlos zwischen den feindlichen Vorposten durch und wir rückten – unglaublich, aber wahr – mit klingendem Spiele in Kettwig ein, bevor der Feind aus den Federn war. An einem anderen Tage schoss unsere Artillerie vom Kanonenberge aus die Kettwiger Brücke in Brand, sodass die feindliche Kavallerie neben der Brücke durchs Wasser musste, und meiner Kompagnie fiel die undankbare Aufgabe zu, eine Feldbatterie auf dem kürzesten Wege, d.h. ohne Weg und Steg im Trabe den Berg hinauf zu lotsen. Die Sache war sehr anstrengend, und wir glaubten eine besondere Leistung vollbracht zu haben, ahnten aber freilich nicht, dass binnen Jahresfrist noch ganz andere Anforderungen an unsere Leistungsfähigkeit gestellt werden würden. Zum Schluss lernte ich bei Aplerbeck auch das erste Biwak mit greulichem Regenwetter und reichlichem Dortmunder Kronenbier kennen und bin heute noch im Zweifel, ob der Klapperfrost, der mich am nächsten Morgen schüttelte, mehr von der äusseren oder inneren Anfeuchtung herrührte. –
Mit meinem Hauptmann Herrn von Asmuth, einem ebenso gutmütigen wie unpraktischen Theoretiker stand ich mich gut. Er lobte meine Meldungen und Antworten beim Felddienst und im Unterricht und war von meinen Schiessleistungen so überrascht, dass er sich auf dem Scheibenstand im Bilkerbusch eines Nachmittags selbst in die Anzeigendeckung begab, um persönlich festzustellen, ob nicht etwa zu meinen Gunsten gemogelt würde. Ich hatte gerade meinen besten Tag, und von da ab hatte ich bei ihm einen Stein im Brett. Meine Ahnung, dass er im Ernstfalle kein grosser Kriegsheld sein würde, sollte sich nur zu bald erfüllen. –
Im Winter 1869/70 bekam ich durch den Regimentskommandeur von Woyna (Anm. 9) ein paar Tage Stubenarrest, weil ich gegen das Verbot des Offiziers, der uns zur Reserveoffiziersprüfung vorbereitete, gelegentlich einen Blick in den allwissenden Dilthey (Militärratgeber), den unfehlbaren Ratgeber aller künftigen Reserveoffiziere, geworfen hatte. Aber sonst passierte mir nichts. Rechtzeitig hatte ich am 01. Oktober die Knöpfe bekommen (Anm. 10) und wurde am 01. April 1870 mit dem Qualifikationstest zum Reserveoffizier entlassen. »Dem überzähligen Unteroffizier Viebig, welcher sich als ein gebildeter moralischer junger Mann bewiesen, auch im Dienst regen Eifer und guten Willen gezeigt hat, wird hiermit auf Grund der mit ihm abgehaltenen Prüfung bescheinigt, dass er sich zur demnächstigen Beförderung zum Reserveoffizier empfiehlt.« Fröhlich konnte ich also mit meinen Kameraden das alte Reservelied anstimmen:
»Leb wohl, du liebe Kompagnie,
Leb wohl, mein altes Regiment!
Das Herz uns jetzt zur Heimat zieht,
Denn unsre Dienstzeit ist zu End.«

Wer hätte geahnt, wie bald ich Regiment und Kompagnie schon wieder sehen würde. –

Meine Heimat war zunächst das Düsseldorfer Friedensgericht bei Herrn Justizrat Pelzer; denn durch Präsidialverfügung vom 17. Februar 1870 war mein Vorbereitungsdienst dahin geregelt worden, dass ich zunächst auf 5 Monate bei einem Friedensgerichte, auf 3 Monate bei einem Notar (Justizrat Lützeler), sodann wenigstens 8 Monate bei dem Landgerichte und weiter wenigstens 6 Monate bei einem Advokatanwalte beschäftigt werden sollte. Kaum aber war ich in meinem eigentlichen Berufe wieder etwas warm geworden, als die bekannten politischen Verwickelungen begannen, die mich von neuem unter die Fahnen riefen. Mein Vater war in Carlsbad, und während wir, meine Mutter und ich, an dem bevorstehenden Ausbruch der Feindseligkeiten längst nicht mehr zweifelten, zögerte er bis zum letzten Augenblick mit dem Abbruch seiner Kur, da er immer noch glaubte, dass der gesunde Menschenverstand bei den Franzosen die Oberhand gewinnen müsse. Endlich traf Vater noch vor Toresschluss in Düsseldorf ein, als bereits auf allen Strassen ›Hurra‹ gerufen und die ›Wacht am Rhein‹ gesungen wurde.

Und wenn die Kriegeswaffe blitzt
Für Kaiserkron’ und Deutschlands Ehre,
Sag an, wer unsern Rhein beschützt,
Im freien Mannesarm die Wehre?
Getreu dem Freund
Ein Schreck dem Feind!
Wer schlägt im Kampf so kühn und kräftig drein?
Es ist das Regiment vom Nieder-Rhein!
Die Nummer 39 ziert
Auch meine Schulter, lasst euch sagen:
Wohin mich auch mein König führt
Nach Freud und Schmerz
Bricht einst mein Herz,
Dann schreibt mir auf meines Grabes Stein:
»Er stand im Regiment vom Nieder-Rhein«

(Nach einem Lied von C. Protzen
bearbeitet von dem gehorsamst
unterzeichneten Ferd. Viebig.)

 

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