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»Wildfeuer« Clara Viebig

Heiß scheint die Sonne um Mittag auf das Städtchen in der Ebene. Traumversunken liegt es da. Kein Wagen rasselt über das holprige Pflaster der engen Gassen, kein Fußtritt hallt, kein Ruf, kein Kinderlärm. Die Fensterläden der niedrigen Häuser sind fest geschlossen, wie müde Augenlider. Auf den grüngestrichenen Bänken vor den Türen sitzt niemand; eine faule Katze nur dehnt sich auf den sonndurchglühten Treppenstufen und blinzelt träge zu den Hühnern hinüber, die im Schatten der Häuser tief im warmen Sand eingewühlt, ihren Mittagsschlaf halten. Die roten Ziegeldächer glitzern im blendenden Licht wie mit Diamanten bestreut; sie sprühen ordentlich unter den feurigen Sonnenpfeilen.
Kein belebender Windhauch regt sich, die Luft steht still und zittert vor verhaltener Glut.
Auf dem Markt plätschert eintönig der alte Brunnen. Verschlafen sickert ein dünner Wasserstrahl in das steinerne Becken; spritzt ein einzelner Tropfen über den Rand, gleich ist er aufgesogen von dem durchglühten Grund. Verstaubt senken sich die Blätter der großen Lindenbäume, die den Platz im Kranz umstehen. Betäubender Duft steigt aus den gelben Blütenbüscheln: Schaaren von Bienen haben sich in den Kelchen festgesaugt und hängen regungslos gleich dunklen Tropfen.
Alles still, wie ausgestorben. Nur weißes, flimmerndes Licht überall – Staub, Sonne, versengende Glut.
Der Gasthof »Zum Deutschen Haus« hält allein seine Pforten weit geöffnet. Er ist das stattliche Gebäude am Markt, der Sammelplatz sämtlicher Honoratioren des Ortes und der Umgegend; ein beliebtes Absteigequartier für die Herren vom Lande, die Geschäfte nach der Stadt führen.
Auch jetzt saßen in der verdunkelten Gaststube ihrer Drei um den runden Tisch. Müde lehnten sie auf ihren Stühlen, mit offenem Rock und offener Weste, die erhitzten Gesichter mit dem Taschentuch fächelnd. Die Unterhaltung wollte nicht recht in Fluss kommen; es war zu heiß, die Fliegen surrten unerträglich. Eine schwere, dunstige Luft füllte den Raum und legte sich beklemmend auf Körper und Geist.
Der eine der Gäste, ein hochgewachsener blonder Mann, zeichnete zerstreut mit dem Finger in dem nassen Rand umher, den sein Weinglas auf dem Tisch zurückgelassen; seine Gedanken schienen nicht allzu erfreulich, nun zuckte er mit den Brauen und ein paar Falten gruben sich in seine Stirn. Plötzlich fuhr er auf und legte die geballte Hand schwer auf den Tisch. »Zum Donnerwetter, s’ist eine Schande mit dem Sczaniecki! Bei der Heidenwirtschaft käme auch bald ein besseres Gut wie Sorgast unter den Hammer! Heutzutage kann man doch mal als Landwirt nicht nur den großen Herrn spielen; wie ein Fürst in seinem Reich sitzen, so wie’s unsere Großeltern und Ur-Urahnen getan haben. Man muss sich selbst rühren, sich persönlich um das Geringste kümmern. Überhaupt mit allen Neuerungen fortschreiten, sonst ist’s aus bei dem jetzigen Stand der Landwirtschaft. Sagen Sie selbst, meine Herren, habe ich nicht Recht?«
»Na gewiss, natürlich, natürlich!«
»Nun wohl, sehen Sie, und da denkt der Kunde, der ­Scaniecki, die gebratenen Tauben werden ihm ins Maul fliegen! Bin ich längst mit der Bestellung fertig, fängt er eben an, und dann wird so was Hals über Kopf zusammengebuddelt und gebuddelt und dann verladen. Zum erbarm! Da ist keine Ordnung, und die Leute machen, was sie wollen – er hat ja überhaupt nur ein paar Arbeiter, reines Gesindel, was Ordentliches kriegt er längst nicht mehr. Lohn zahlen ist bei ihm nicht Mode, und wer nicht selbst sieht, wo er bleibt, der geht leer aus. Wenn man das so aus nächster Nähe mit ansieht, läuft einem wirklich die Galle über.«
»Aber, bester Gerstein, ereifern Sie sich doch nicht«, beschwichtigte sein Gegenüber, ein behäbig aussehender, untersetzter Mann, »es geht Sie doch eigentlich gar nichts an , was ärgern Sie sich denn so? Lassen Sie doch den Kerl machen, was er will; wenn er kein Geld mehr hat, wird das Sektgeschlampampe schon ein Ende nehmen, er muss Wasser trinken, wie andere Leute auch – und wenn er’s nicht lässt, – dann hat’s eben eines schönen Tages ein Ende, er macht die Bude zu und geht ’raus, angesichts von Nichts – mit Sorgast, der Sandbüchse, ist überhaupt nicht viel anzufangen. Warum Sie sich aber über die ganze Geschichte aufregen, ist mir schleierhaft.« Er zuckte die Achseln.
Sie haben Recht, Tettau – der blonde, stattliche Mann sah mit einem offenen Lächeln dem Andern in’s Gesicht –, bin ein Esel, daß ich mich um fremder Leute Angelegenheiten kümmere! Erstens ist es mir aber überhaupt zuwider, daß sich ein Pole in unserm ehrlich deutschen Teil der Provinz eingenistet hat – ­stecken ihrer eine Menge drin, der Szutdrzynski aus Alt-Lachau, Bierniki aus Rosenan, der Zdiatrowo’er Moszczenski, und wie sie alle heißen! Zweitens ist nun mal der Sczaniecki mein nächster Nachbar. Drittens hat meine liebe verstorbene Frau immer besonderes Interesse an der Sczaniecka genommen. Gott, wie hat Helene dazumal geweint, als die Sczaniecka bei der Geburt des Kindes starb! S’ hat ihr weiches Herz immer bedrückt, was wohl aus dem verlassenen Wurm werden möchte – ja, ja damals hat sie nicht gedacht, dass sie paar kurze Jahre später auch die Augen zu tun müsste, mich mit der armen Kleinen allein lassen, die kaum acht Tage alt war!« Der starke Mann seufzte tief und beschattete das Gesicht mit der Hand – »So jung, so lebensvoll – oh!«
Der alte Weißbärtige an seiner Seite, der bis dahin geschwiegen, legte ihm jetzt die Rechte leicht auf den Ärmel. Lassen Sie gut sein, Gerstein, es ist ja alles noch besser geworden, wie Sie dachten. Ihre Annie ist ein Staatsmädel, hat mein altes Herz ganz und gar gestohlen – aber à propos, sagen Sie, verkehren Sie eigentlich noch mit Sczaniecki? Soviel ich weiß, doch nicht!«
»Nun, lieber Baron, lange nicht mehr – nein! Ehe Frau von Sczaniecki starb, besuchten wir uns gelegentlich – immer ’ne gezwungene Geschichte! Der Pole war mir zu geschmeidig. Er hatte ein großartiges Getue – nicht daß er renommierte, das kann man nicht sagen – aber die Art, den Schnurrbart zu streichen und die feinen Stiefel auf den Acker zu setzen, war mir schon fatal. Er trat auf Hunderttausende und dabei guckte bereits damals der Verfall aus allen Ecken und Winkeln. Meine Frau fuhr manchmal allein zur Sczaniecka herüber. Die wandelte nicht auf Rosen, das sagten ihre schwermütigen Augen, ihr blasses Gesicht deutlich genug. Die hätte meiner Frau zuweilen gern ihr Herz ausgeschüttet, manchmal war’s, als wollte sich ihr ein Wort über die Lippen drängen – aber komisch! Der Sczaniecki ließ die Beiden nie lange allein, immer kam er unvermutet dazu. Dann war ja das arme Weib sofort eingeschüchtert, traute sich kaum, eine Silbe zu sprechen. Zuletzt war das Helene doch peinlich. So kam’s, dass sie seltener und seltener herüber fuhr. Zu uns durfte die Sczaniecka nie allein – dann kam ihr jäher Tod. Bei ihrem Begräbnis war ich zum letzten Mal auf Sorgast – ein schrecklicher Tag, mich überläuft’s noch, wenn ich dran denke!«
»Wieso? Erzählen Sie, davon weiß ich ja gar nichts!« Des ­dicken Pettau Augen funkelten neugierig.
»Ach lassen Sie doch, Gerstein«, mahnte Baron Pleß, rühren Sie die alte Geschichte nicht auf! Es wird so vieles nachgeredet in der Welt; wer weiß, was dran wahr ist!«
»Na aber, Barönchen, ich sehe gar nicht ein, warum Gerstein nicht erzählen soll«, eiferte der Dicke. »Sie machen mich wirklich neugierig. Schießen Sie los, Gerstein, schießen Sie los, was war’s?«
»Ja, verbürgen kann ich nicht alles! Tatsache ist, daß ­Sczaniecki seine Frau schlecht behandelte, wie weit das ging, wer konnte das genau wissen! Sie hatten sich damals noch nicht in hiesiger Gegend angekauft, Pettau, sonst hätten sie den Skandal schon gehört. War er angetrunken, hatte er im Spiel verloren – beides kam öfter vor – musste sie’s büßen. Was sagen die Leute nicht alles – nächtlicher Weile unterdrücktes Jammern, Poltern von Stühlen, Weinen, Fluchen, Bitten und Drohen. Schreckliche Geschichten! Er soll sie geschlagen haben. Am anderen Tage, bei klarer Besinnung, hat er freilich die Striemen geküsst, geweint, sich angeklagt. Aber das arme Weib konnte so rasch den Umschwung nicht mitmachen vom Menschen zur Bestie, von der Bestie zum Menschen – es ging darüber zu Grunde. Mein ganzes Leben habe ich nicht so traurige Augen gesehen, wie bei der Frau, der Blick ging einem durch und durch. Eines Tages war Sczaniecki nun wieder betrunken, dazu wütend über einen großen Verlust im Spiel – ob sie gewagt hat, ihm Vorwürfe zu machen? Wer weiß! Kurzum, es gab eine Szene; er schlug sie, trat sie mit dem Stiefelabsatz, wenige Stunden darauf war sie tot, nachdem sie noch einem Kind – viel zu früh – das Leben gegeben. Nun war er außer sich, gebärdete sich wie ein Rasender, das elende Würmchen musste man ihm schleunigst aus den Augen schaffen, er hätte es bei Gott erwürgt.«
»Herr des Himmels, das ist ja eine grässliche Geschichte!«
»Und ob!« fuhr Gerstein wieder fort, »was daran wahr ist und was gelogen, wollen wir weiter nicht erörtern. So viel ist gewiss, beim Begräbnis war er wie ein Wahnsinniger, ohne jegliche Fassung; er warf sich über den Sarg, er wollte ihn nicht lassen, und als nun endlich die Erde aufgeschüttet war, krallte er sich förmlich in den Boden und schluchzte zum Herzbrechen. Meine arme kleine Frau war ganz kaputt und ich, trotzdem ich manchen Blick hinter die Kulissen getan habe, konnte nicht umhin, Sczaniecki sehr zu bedauern. Meine Sympathie hat zwar nicht lange vorgehalten. Mit der Trauer war’s bald vorbei, das alte wüste Leben fing wieder an, toller denn je. Bis zum Morgengrauen dauern ja die Saufereien und das Gejohle! Na, und da ist noch so manches andre, von dem man lieber nicht spricht. Das arme Mädel tut mir nur leid!«
»So? Lebt das Kind? Und ein Mädchen, sagen Sie?«
»Ja wohl, ein Mädchen; circa elf Jahre muss es sein, scheu und bissig wie ein junger Fuchs. Habe es manchmal durch die Büsche an unserer Grenze streichen sehen, aber beikommen lässt sich’s nicht.«
»Ist sie hübsch?«
»Hübsch? Hm – vor der Hand ein kleiner rothaariger Teufel, aber wird schon werden, wird schon werden, Rasse ist drin. Der Vater soll sich absolut nicht um die Tochter kümmern, und sie betrachtet ihn als ihren persönlichen Feind – tolles Verhältnis! Wie soll das mal enden?«
»Warten Sie nur Verehrtester«, lachte Tettau, »und machen Sie sich darum keine Kopfschmerzen, ich sollte doch die Art schlecht kennen. Passen Sie mal auf, fünf Jahre oder sechs, und der alte hat plötzlich Augen für das Töchterlein. Zumal wenn die Kleine hübsch ist, wird er schon den zärtlichen Vater spielen und das nötige Glück mit ihr machen – und sie? Mein Gott, lieber Freund, das steckt im Blut, das verleugnet sich nicht.«
»Traurig, traurig«, murmelte Gerstein, »wie leid würde das meiner guten Frau tun – aber, meine Herren, ich verschwatze mich hier; ’s ist höchste Zeit, ich muss nach Hause, die Kinder werden mich sehnlichst erwarten.« Aufspringend, rief er dem Kellner zu: »Anspannen lassen, etwas plötzlich, Heinrich, hören Sie!«
Wenige Minuten später fuhr draußen das leichte Gefährt vor. »Adieu, Adieu leben Sie wohl, auf Wiedersehen!« – noch ein kräftiges Händeschütteln und Gerstein schwang sich auf den Bock. Er lenkte selbst den stattlichen Braunen, noch einmal hob er grüßend die Peitsche, fort ging’s, dass die Funken stoben.
Die Zurückgebliebenen standen einen Augenblick in der Tür und sahen dem im blendenden Sonnenglanz Verschwindenden nach. »Ein famoser Kerl«, meinte Tettau, »was, Barönchen?«
»Vor allen Dingen eine treue ehrliche Seele«, erwiderte dieser, »und ein ganzer Mann.«
Über das holprige Pflaster rasselten die Räder des kleinen Jagdwagens. Wie der Blitz ging es durch die stillen Gassen. ­Gackernd fuhren die Hühner empor aus beschaulicher Ruhe, entsetzt sprang die Katze auf und sträubte das Fell, hier und da kläffte ein Hund aus seiner Hütte, an den Fenstern wurden die Gardinchen beiseite geschoben und neugierige Gesichter zeigten sich.
Nun war das Gefährt zum Städtchen hinaus, draußen auf der Chaussee. Loser Staub wirbelte empor und legte sich wie graues Mehl auf die glänzend braune Haut des Pferdes, auf Rock und Hut des Lenkers, auf Riemzeug und Wagensitz.
Gerstein fuhr zu, was der Braune laufen konnte – wie würde ihn seine Kleine erwarten! Konrad, der gute Junge, würde seine liebe Not haben, ihre Ungeduld zu beschwichtigen! Sein Herz hob sich bei dem Gedanken, bald den süßen, roten Mund seines Kindes zu küssen. Nein, er war nicht arm, sein Leben nicht ohne Reiz, wie er es in trostlosem Kummer wähnte, als man sein heißgeliebtes Weib zu Grabe trug. Unendlich viel war ihm genommen und doch noch unendlich viel geblieben. Einen reichen Schatz hatte die Geliebte ihm hinterlassen, der täglich neue köstliche Schönheiten offenbarte. Aus der dunklen Erde, welche die teure Hülle deckte, wuchsen immer frische Freudenblumen hervor; hatte er sie auch mit seinen Tränen begossen, sie waren doch da, sie keimten auf und erfüllten sein Herz mit Wonne.
Sein Blick flog über die weiten Felder zur Rechten und Linken. Der Frühsommer war trefflich gewesen, schon neigten sich die Ähren schwer und flimmerten golden im Sonnenlicht. Überall gute Ernteaussichten, aber daheim bei ihm auf Pareichen doch noch bessere. Wenn’s so weiter glückte, konnte er wieder einen guten Groschen zurücklegen zum Brautschatz für seine Kleine. Nun, wie lange würde es noch dauern, da wurde aus dem Kind mit dem kurzen Röckchen ein großes Mädchen; wieder nicht lange, da war’s denn soweit, da reichte sie einem Manne die Hand, und er, der Vater, hatte das Nachsehen. Wem würde er seinen Schatz wohl lieber anvertrauen, als einem Menschen, den er von Grund auf kannte? Wen kannte er besser wie Konrad, den Sohn seines Bruders, der schon seit vier Jahren bei ihm im Hause lebte und mit Annie in zärtlichster Freundschaft aufwuchs?
Der arme Junge war im Alter von acht Jahren schon verwaist. Im Kriege von Siebzig fiel sein Vater als Hauptmann bei Spichern; die Mutter hatte sich allzu sehr darüber gegrämt, nicht lange dauerte es und auch sie schloss die Augen zum ewigen Schlummer. Der Onkel, Freiherr von Gerstein auf und zu Pareichen, nahm sich des zurückgebliebenen Kindes an. Es war immer ein ungemein herzliches Verhältnis zwischen den Brüdern gewesen; von der Liebe, die er für den Toten gehegt, übertrug Gerstein nun ein reiches Teil auf den Knaben, der ihn in vielen Zügen an den verstorbenen Vater erinnerte. Das war dieselbe offen grade Gesinnung, dieselbe Treue und Zartheit des Gemüts; das einzige, was der praktische Landwirt auszusetzen hatte, war ein Hang zur Träumerei – aber was lässt sich bei einem Kinde nicht noch alles ausgleichen und anbahnen?! Im Ganzen war Konrad doch ein famoser Junge, klug, verständig über seine Jahre, er versprach ein tüchtiger Mann zu werden.
»Niemand anders, als er, bekommt meine Annie und Pareichen dazu!« Gerstein sprach die letzten Worte so laut und bestimmt, daß das Pferd die Ohren spitzte und mit einem Ruck anhielt.
»Na, na, Alter, geh’ nur nach Hause – was ist denn das?« Der Freiherr schnalzte mit der Zunge und ließ die Peitsche leicht auf den Rücken des Tieres fallen. Dieses setzte sich wieder in Trab, aber schwerfälliger, und unter den Rädern knirschte der Sand. »Aha, da haben wir’s. Sorgaster Terrain. Na, Alterchen, dann nur langsam, bei dem Zotteltrab haben wir ja schönste Gelegenheit, uns die Pudelei hier in Muße anzusehen.« Das freundliche Gesicht des Gutsherrn hatte sich verfinstert, mit unwillkürlichem Kopfschütteln sah er sich um.
Die wohlgepflegte Straße hatte aufgehört, mühselig zog der Braune den leichten Wagen durch tiefen Sand, in den ab und zu als Wegeverbesserung ein Haufen Steine hingeworfen war. Erbärmliche Felder boten sich dem Auge. Wo überall jetzt eine Flut goldener Ähren reifte, wankten hier ein paar grüne, vereinzelte Halme, untermengt mit Klassen von rotblühenden Disteln, die förmlich auf der Lauer schienen, mit jedem leisen Windhauch ihren schädlichen Samen weit umher zu streuen. Nun kam ein Kartoffelfeld, oder es sollte wenigstens eines vorstellen – hier eine Staude – da eine Staude – dazwischen gelbblühendes gieriges Unkraut in erstickender Fülle. Nun eine hohe Sandwehe – die Vegetation hörte überhaupt auf.
Eine trostlose Ödenei, eine vollkommene Wüste breitete sich aus. Das Pferd stolperte über abgehauene, knorrige Baumwurzeln und dürres Heidekraut – ärgerlich zog Gerstein die Zügel fester an. Ein plötzlicher Windstoß warf ihm eine ganze Ladung Sand ins Gesicht, der ihm in die Augen flog und zwischen den Zähnen knirschte.
»Verfluchte Schweinewirtschaft! Den Kerl sollte man verklagen, dass er den Weg nicht besser in Ordnung hält«, murrte er. Nicht allein, dass mir jeder Wind einen Haufen von dem Teufelssamen auf mein Land jagt, man kann sich hier im Dunkeln Hals und Beine brechen, i da soll ja gleich –!«
Vorwurfsvoll flog sein Blick über das struppige, halb abgestorbene Kiefernholz in einiger Entfernung, hinter dem, wie ein anklagend zum Himmel aufgereckter Finger, ein hoher Schornstein ragte. Der Schornstein der Brauerei von Sorgast. Durch eine Lichtung wurden einige braunrote Ziegeldächer sichtbar.
Schweigend lag alles im Sonnenglanz. Auf dem Schornstein kräuselte sich kein Rauch, kein Mensch weit und breit; auf dem Feld rührte sich keine fleißige Hand, kein Wagen fuhr langsam in die Scheunen. Einsam hob das Herrenhaus seine grauen düsteren Steinmauern – ein massives Gebäude, aber so unfroh, so unwohnlich, ein Hauch von Öde und Verlassenheit darüber.
Der Freiherr atmete beklommen, er trieb das Pferd an. – »Voran, Alter, nur voran!« – Gott sei Dank, nun hatte das Mahlen durch den Sand und die Holzerei über Baumwurzeln bald ein Ende. Noch über diese Brücke – hier an dem klaren Bach mit den schattenden Erlenbüschen war die Grenze, welche diese Wüstenei von seiner lieblichen Oase trennte. –
Munter spitzte der Braune die Ohren und warf die zierlichen Hufe, der Gutsherr pfiff leise und fuhr mit Behagen dahin unter beladenen Obstbäumen, vorüber an üppigen Feldern, von denen die fleißigen Arbeiter ehrfurchtsvoll grüßten. Das wogende Getreide mit seinem leuchtenden Gold, das Heu der Wiesen mit köstlichem Duft, jede Blume am Wegrain lachte ihm ins Herz. Er war daheim. – Dies Alles sein eigen!

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