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Leseproben ausgewählter Bücher

Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene

Schuld – Tinnitus der Seele

Texte aus dem deutschen Strafvollzug 2024

 

Maximilian Pollux

Geleitwort

 

Mein Name ist Maximilian Pollux.
Das war nicht immer so. In meinem alten Leben trage ich andere Namen. In Tschechien Christian Gerber. In Spanien Manuel Hertz. Und in den Niederlanden Miguel List.
Das war alles vor meiner Verhaftung im Jahr 2005.
Vieles veränderte sich an diesem Tag in Amsterdam, als ein niederländisches Arrestatieteam meine zwei Jahre andauernde Flucht beendet.
Und Namen spielen für die nächsten 9 Jahre und 8 Monate eine untergeordnete Rolle. Aus mir wird die Nummer 16/07. Einer von vielen.
Als Insasse in Deutschlands unbequemstem Hochsicherheitsgefängnis sollte ich meine Vergangenheit der vielen Namen vergessen. Hier in Bayern, in der JVA Straubing ticken die Uhren anders. Nicht nur Namen, auch Jahre verlieren hier an Bedeutung. Und ich füge mich in diese Maschinerie. Muss mich fügen, um nicht aufgerieben zu werden, und tausche meine vielen Namen gegen eine Nummer.
Ich werde also der Gefangene 16/07.
Als Gefangener, der was auf sich hält, schreibt man viel: Anträge, Beschwerden und Briefe.
Viele Briefe.
Briefe aus Liebe, Briefe aus Wut. Briefe aus Verbundenheit. Briefe aus der Not, aus Langweile, Briefe voller Hoffnung, Frust oder Humor.
Die meisten Gefangenen schreiben.
Schreiben ist ein fester Teil des Lebens in Haft.
Eines Tages bringt mich ein Beamter zum Arzt, und wir kommen am schwarzen Brett vorbei. Zwischen den Aushängen, die uns Gefangene etwa darüber informieren, dass unsere Anträge auf ein Digitalradio abgelehnt wurden oder dass während der nächsten acht Wochen kein Außensport stattfindet, hängt ein Aushang, der meinen Blick einfängt: Die Ausschreibung für den »Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene«.
Ich hatte in der Vergangenheit schon wiederholt gehört, dass es so etwas gebe, aber ich hatte meine Teilnahme bis dahin nicht in Erwägung gezogen.
Warum sollte sich jemand dafür interessieren, was ich schreibe?
Diesmal ist meine Situation jedoch eine andere, denn ich sitze seit einigen Wochen in Absonderungshaft. Wie alles hat diese Maßnahme, mit der das Personal und andere Gefangene vor mir geschützt werden sollen, eine Nummer: 19/3.
Wie alle Nummern in einem Gefängnis sagt sie nichts Wesentliches aus.
Und gleichzeitig alles.
Drei Monate lang soll ich von meinen Mitgefangenen abgesondert werden. Ich darf nicht mehr mit den anderen in den Hof, und auch jetzt werde ich allein zum Arzt gebracht.
Unter dem ungeduldigen Blick des Begleitbeamten bleibe ich kurz stehen und überfliege den Text.
In großen Buchstaben steht dort das Thema der diesjährigen Ausschreibung – »Einsamkeit«.
Ich weiß nicht mehr, was dort sonst noch stand, aber im Grunde werden alle Gefangenen, die Lust haben mitzumachen, aufgefordert, einen Text zum Thema Einsamkeit einzusenden. Ob Gedicht, Fließtext oder Haiku ist egal.
Erst auf dem Rückweg vom Arzt frage ich den Beamten, ob ich mir kurz die Adresse abschreiben kann, an die man den Text schicken soll.
Das Thema holt mich ab. Ich sitze nämlich von meinen Mitgefangenen abgesondert in einer Einzelzelle. Wer, wenn nicht ich, müsste da abliefern können. Das krieg ich hin, denk ich mir, und noch am selben Abend beginne ich zu schreiben.
Ich schreibe von Hand. Eine Short Story. Nur wenige Seiten. Ohne Intro. Direkt aus meinem Hirn durch mein Herz über meine Finger aufs Papier. Am nächsten Morgen gebe ich die paar Seiten in die Post.
Als Pseudonym wähle ich den Namen Maximilian Pollux.
Es ist seit vielen Jahren das erste Mal, das ich mir ein Pseudonym zulege. Die Geschichte heißt »Der Fixstern«, und ich mag die drei X.
Zu sagen, ich hätte mir keine Hoffnung auf den Sieg gemacht, wäre untertrieben. Ich habe darauf gehofft.
Aber die Wochen vergehen. Ich verlasse die Absonderung, werde auf einen anderen Gang in ein anderes Haus verlegt. Ich lebe mich ein und werde wieder zur Nummer 16/07. Bis eines Tages überraschend ein Brief in meine Zelle flattert.
Die Jury teilt mit, dass »Der Fixstern« zu den diesjährigen Preisträgern gehört!
Und ich weiß noch, dass ich meine Freude herausgrinse. Ich trommle mir auf die Brust und fühle mich für einen Moment, als hätte ich einen Boxkampf gewonnen.
Im Preis inbegriffen ist die Veröffentlichung der Geschichte in einer Anthologie, also einer Sammlung von Texten verschiedener Autoren. Und Leute, das war der erste von mir geschriebene Text, der jemals gedruckt und in einem Buch veröffentlicht wurde; und das man kaufen konnte.
Es war die erste Bestätigung, dass das, was ich schrieb, von den Juroren für gut befunden wurde, dass meine Art zu erzählen verstanden wurde. Dass ich nicht für mich alleine schreibe. Dass ich in all den Jahren im Knast das Feedback erhielt, etwas gut gemacht zu haben!
Einige Zeit zuvor hatte ich mit der Arbeit an einem Roman begonnen, und die Wertschätzung, die der »Fixstern« erfuhr, motivierte mich weiterzuschreiben. Denn wie jeden Autor hätte mich die Frage »Wer soll das denn lesen?« beinahe gekillt.
Ich weiß das, und kann deshalb heute sagen, dass diese Auszeichnung und noch viel mehr, das gedruckte Exemplar in den Händen zu halten, der Grund dafür ist, warum ich immer noch schreibe: während der verbleibenden Haftjahre hatte ich zwei Manuskripte fertig gestellt. Einen Roman und ein Kinderbuch. Das war alles, was ich mitnahm, als ich nach neun Jahren traumatisiert, entwurzelt und ziellos entlassen wurde.
Und obwohl es nicht viel war, war es am Ende genug, denn inzwischen wurden beide Texte als Bücher veröffentlicht.
Heute bin ich von Beruf Autor und Podcaster, und es gibt nichts, was mich stolzer macht als das Angebot, die Schirmherrschaft über eben jenen Literaturpreis zu übernehmen, ohne den es meine Karriere so nicht gegeben hätte.
Meine Frau Catherina und ich haben 2019 mit dem ­»SichtWaisen e. V.« einen Jugendhilfeträger gegründet, und wir arbeiten seither mit Jugendlichen, die mit einem oder bereits beiden Beinen im Knast standen, und dabei haben auch wir viel gelernt.
Wenn ich Jugendliche davon abhalten will, kriminell zu sein, wirkt es tausend Mal präventiver, ihnen Hoffnung zu geben, indem wir sie positiv bestärken, anstatt sie zu bestrafen.
Was mich überhaupt nicht zum Besseren verändert hat, waren die vielen Male, die ich zur Strafe und zur Abschreckung in Absonderung saß. Aber dieses eine Mal, als ich ein Gewinner war, als ich von außen gesehen und wertgeschätzt wurde, hat mein ganzes Leben zum Positiven verändert.
Das ist es, was den Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene so wertvoll macht.
Ich danke allen Beteiligten des Trägerkreises und der Jury, vor allem Professor Helmut Koch, der mit seiner jahrzehntelangen Arbeit so viele Leben berührt und bewegt hat. Ich glaube seine Leistung wird man erst in hundert Jahren wirklich anerkennen können, so weit ist er seiner Zeit voraus.
Mein ganz besonderer Dank gilt Hubertus Becker. Meinem Mentor, meiner Inspiration und meinem Freund, ohne den ich heute nicht hier sitzen würde. Er war schon 2011 Mitglied der Jury, die meinen Text gekürt hat. 2017 haben Helmut Koch und er mir dann dabei geholfen zum Rhein-Mosel-Verlag zu finden, und 2024 hatten sie die Idee, mir die Schirmherrschaft anzubieten.
Außerdem danke ich den Gefangenen, die die Courage hatten, ihre Gedanken zu Papier zu bringen und bei der Jury einzureichen. Euer Mut, mehr zu sein als eine Nummer, erweckt diese wunderbare Idee zum Leben. Ich hoffe, dieses Buch heute in den Händen zu halten, fühlt sich für euch so gut an, wie damals für mich »Gemeinsam einsam«.
Und um es mit Hubis Worten zu sagen – Wer diese Texte liest, leistet Widerstand.
So gilt mein Dank an euch, die im Trägerkreis und bei der Jury Engagierten, an jeden einzelnen Leser und Unterstützer.
Ohne Leser wären wir Schreiber nichts! Und jetzt, viel Spaß beim Eintauchen in den Bauch des Monsters.

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