»O Mosella« Axel Hesse
Willkommen
Das Haus, in das ich ziehe, ist alt, ehern, kolossal. Der Fußboden knarzt, die Türbalken sind schief. Es ist eine ehemalige Fabrikantenvilla, deren beste Zeiten lange zurückliegen, etwas, das ich dem Haus nicht im geringsten übelnehme. Einzig stören mich die mannshohen Fenster, da sie ungehindert das Gold der Augustsonne in die Zimmer lassen. Man muss wissen, dass der Kessel des Moseltals zu einem regelrechten Backofen werden kann. Deshalb drapiere ich, noch bevor ich meine Kisten auspacke, Bettlaken und Hemden vor die Scheiben. Darauf begebe ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz. Eine Ecke in dem größten Raum des Hauses scheint mir die richtige Wahl. So mache ich mich an den Abschiedsgruß, den ich mir aus Berlin mitgebracht habe. Er besteht aus einem Bündel gebundener Bücher, einem gedruckten Haufen Sozialwissenschaften. Aus ihm soll ich eine Seminararbeit formen. Und das so schnell wie möglich.
Blindlings und ohne Rücksicht auf inhaltliche Verluste schreibe ich, was Platz füllt und irgendwie nach Sozialwissenschaften aussieht. Ich esse kaum, meide die Gänge zur Toilette, verlasse so gut wie nicht das Haus. Nach mehreren durchschriebenen Tagen ist es schließlich soweit. Meine Arbeit ist vollendet. Nun muss sie nur noch zu meiner Professorin nach Berlin gelangen, was ich in diesem Moment noch für eine Kleinigkeit halte.
Frohgemut hole ich den Router aus der Kiste und pflanze seinen Zapfen in die Telefonbuchse. Doch die Leuchten wollen einfach nicht blinken. Ich probiere es immer wieder, ohne Erfolg. Mein Computer will sich nicht mit dem Internet verbinden.
Mit der eigentümlichen Entschlossenheit, die sich nur dann auftut, sobald man sich ausweglosen Situationen gegenübersieht, verlasse ich das Haus. Nach wenigen Schritten überkommt mich allerdings ein seltsames Gefühl. Es ist das Wetter. Statt in klebriger Wärme stehe ich in feuchtem Nass. Ein Sommergewitter hat sich über mich ergossen und ich triefe von Kopf bis Fuß, als ich an der ersten Tür klingele, die mir in die Quere kommt. Ein Mann mit quadratischem Kopf und anthraziten Leuchten öffnet sie. Auf die Frage, ob ich vielleicht sein Internet benutzen könne, kassiere ich einen skeptischen Blick. Ich versuche mich näher zu erklären, da lässt er mich einfach stehen.
Interessant, denke ich mir, so sind sie also, die Moselaner, und gehe meine Optionen durch. Entweder ich folge dem Mann und riskiere einen ersten Affront oder ich warte darauf, dass er das weltweite Netz an die Tür bringt. Da weder Mann noch Netz auftauchen wollen, schleiche ich hinein. Einen feuchten Film hinter mir lassend, taste ich mich durch das Haus und finde ihn schließlich in der Guten Stube, wo er mit seiner Frau zu Abend isst. Zaghaft bewege ich mich auf sie zu, so lange, bis es von meinem Haar in ihre Rieslinggläser tropft. Ich hole tief Luft und erkläre mein Anliegen. Dann geschieht etwas Bemerkenswertes. Der Mann steht auf und beginnt, die Möbelstücke des Zimmers zu verschieben. Das kostet ihn keinerlei Mühe, seine ausgeprägten Pranken brauchen dafür nur wenige Sekunden. Am Ende bilden Schrank, Tisch und Sofa einen schönen Haufen, gekrönt von der Ehefrau, die obenauf an ihrem Mahl isst. Wir stehen vor seinem Werk. Nur das Kauen der Gattin unterbricht die Stille. Da schnappt er sich seine Jacke und geht hinaus, seine Frau tut es ihm nach.