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»Kieleck« Maximilian Pollux

»Hallo mein Prinz, wie geht’s dir?
Ich bin gerade auf dem Weg ins Bett und wie immer kreisen meine Gedanken dabei um dich. Mit etwas Glück träume ich gleich von dir und wir begegnen uns. Du kannst dir sicher denken, was für eine Art Traum ich dabei im Sinn hab. ;-) Ich wollte dir nur noch schnell sagen, dass ich dich liebe.
Deine Annabelle«
Das ist alles.
Kieleck dreht die Postkarte in seinen haarigen Fingern. Er betrachtet die rosa Herzen auf der Vorderseite. Die runde, bauchige Mädchenschrift auf der Rückseite. Der penetrante Geruch nach süßlichem Frauenparfüm, den die Karte verströmt, erregt ihn. Mit verschwommenen Augen drückt er sich die Postkarte direkt unter die Nase. Gierig zischend schnüffelt er daran. Wie ein Weinkenner, ein echter Genießer und Connaisseur oberster Güte.
Leider handelt es sich nur um eine kurze Postkarte und nicht um einen ausführlichen Brief. Er hätte gerne noch mehr über Annabelles Abend erfahren. Ob sie zum Schlafen wohl ihr niedliches kleines Nachthemd trägt, dazu noch ein duftendes Höschen, oder schläft sie gar nackt?
Ja! Der Gedanke gefällt ihm.
Das kleine Schlämpchen ist beim Schreiben bestimmt schon ganz feucht gewesen. Kieleck merkt, wie sich sein Schwanz in der engen Uniformhose zu regen beginnt. Warum hat sie sich nicht die Mühe gemacht, einen ganzen Brief zu schreiben? Und vielleicht ein sexy Foto mit reinzulegen?
Immer noch an der Karte riechend reibt er sich den halbsteifen Schwanz.
Um sich einen runterholen zu können, bräuchte er mehr Material als dieses eine jämmerliche Kärtchen. Hastig wühlt er sich durch den Stapel Briefe, der vor ihm auf dem Schreibtisch liegt.
Niemand außer ihm ist im Büro. Er könnte die Gelegenheit also nutzen, wenn … Doch die weiteren Briefe sind alle enttäuschend. Kieleck macht den Job schon lange genug und kann bereits an den Umschlägen erkennen, worum es sich bei einer Sendung handelt. Überraschungen gibt es dabei selten. Der Stapel birgt hauptsächlich Gerichtspost. Graue, oder gelbe Umschläge aus recyceltem Papier. Dazwischen einige Briefe von Freunden an Freunde. Von Annabelle ist heute nichts weiter dabei.
Etwas enttäuscht bemerkt er, wie sich sein Schwanz zusammenzieht, klein und harmlos wird. Mist! Erst macht sie ihn geil und dann das. Sie spielt gerne mit ihm und sie spielt unglaublich gut. Was für eine Frau!
Die übrige Post ist, wie vermutet, Müll. Er überprüft sie trotzdem gewissenhaft. HAH! Bei Edelstein, einem der jüngeren Zigeuner-Arschlöcher von C2, wird ein neues Verfahren eröffnet. Das sind gute Nachrichten. Sicher wird man ihm noch ein paar Jährchen aufbrummen. Das wird ihm vielleicht die Arroganz aus der Fresse brennen.
Und hier, ein Todesfall in der Familie. Das ist heikel. Man kann nie wissen, wie jemand reagiert, wenn er erfährt, dass der eigene Vater gestorben ist. Manche werden depressiv, versuchen sich selbst zu töten. Anderen ist es scheißegal. Schließlich gibt es hier den ein oder anderen, der seinen Vater selbst ermordet hat.
Besondere Beachtung verdienen in diesen Fällen nur die, die dazu neigen, ihrer Umwelt und vor allem den Bediensteten gegenüber gewalttätig zu werden. Diese Arschlöcher muss man ganz genau im Auge behalten.
Kieleck beschließt diese Nachricht noch etwas geheim zu halten. Er verstaut den Umschlag in seiner Schreibtischschublade. Neuigkeiten wie diese wollen im richtigen Moment präsentiert werden. Eine gute Gelegenheit dazu wird sich finden und wie bei allen Dingen im Leben heißt es nichts überstürzen.
Ansonsten ist der komplette Stapel Post nur heiße Luft, nichts als bla, bla, bla. Er überfliegt die restlichen Briefe dennoch gut gelaunt. Er liebt diese Momente, in denen er allein ist mit der Korrespondenz der Gefangenen. Keine nervtötenden Kollegen. Das Gesindel weggeschlossen. In diesen Momenten fühlt er sich wohl und tiefste Zufriedenheit durchflutet ihn. Wenn doch nur Annabelle mehr als diese eine billige Karte geschickt hätte. Annabelle …
Zuhause hat er eine stattliche Sammlung Fotos von ihr. Viele davon in eindeutigen Posen. Bei dem Gedanken an seinen Schrein regt sich erneut sein Schwanz. Was findet eine Topfrau wie Annabelle nur an einem Kerl, der hier einsitzt? Auch noch lebenslänglich. Anstatt sie jeden Abend alleine einschlafen zu lassen, würde Kieleck ihre Maschine schon auf Touren bringen. Oh ja, das würde ich.
Noch einmal riecht er an der Karte. Auf seiner frisch rasierten Glatze bilden sich kleine Schweißtropfen.
In Wahrheit sitzt Kieleck nicht freiwillig in diesem Büro. Seit Jahren auf demselben Posten. Es ist alles eine Art Notlösung und doch, die Briefkontrolle entschädigt ihn für vieles.
Er genießt sie so sehr.
Plötzlich öffnet sich die Bürotür und ein junger Kollege blickt verunsichert herein.
»Herr Kieleck, es ist soweit, oder? Soll ich die Gefangenen jetzt aufsperren?«
Kieleck lässt die Postkarte sinken und blickt lustlos auf die Wanduhr über der Tür.
10.25 Uhr. Zeit den Abschaum aus seinen Löchern zu holen und für eine Stunde ans Tageslicht zu lassen. Er hat nie wirklich verstanden, warum man den Gefangenen die 60 Minuten Hofgang gesetzlich zugesteht. Das ist mehr Zeit im Freien, als mancher Fabrikarbeiter am Tag genießen kann! Rechte, immer mehr Rechte.
Er schüttelt den Kopf.
Früher hätte man die meisten einfach an die Wand gestellt, dann wäre Ruhe. Heute füttert man sie jahrzehntelang durch und dann noch die Ausländer, die …
»Herr Kieleck?«
Wieder der junge Anwärter. Ein Bursche von gerade 25 Lenzen, dem die Korrektheit noch aus dem Arsch trieft. Er hat zweifellos von den 60 Minuten gehört und will sich an die Regeln halten. Keine Fehler machen. Recht muss Recht bleiben. Er hat sicher auch davon gehört, dass Gefangene das Recht haben Beschwerden zu schreiben und dass einige nur allzu gerne Gebrauch von diesem, ihrem Recht machen. Wer kann es ihm verdenken, dass er sich in seiner ersten Woche hier nicht unbeliebt machen will? Nicht zur Zielscheibe des ohnehin überbordenden Hasses werden will?
Unsicher tritt er von einem Bein aufs andere.
Was für ein beschissenes Weichei. Die Tiere da draußen werden ihn zerkauen und ausspucken wie ein altes Kaugummi.
Kieleck blickt ihm vielsagend in die Augen.
»Haben Sie Ihre Ausrüstung überprüft?«
»Ähh, ja, Herr Kieleck!«
»Funkgerät, Namensschild und das Wichtigste, Ihren Schlüssel?«
»Jawohl, Herr Kieleck!«
»Verlieren Sie um Himmels Willen niemals Ihren Schlüssel! Davon kann unser aller Leben abhängen. Ist Ihnen das klar?«
»Gewiss, Herr Kieleck!«
Der Anwärter fühlt sich zusehends unwohl in seiner Haut und versucht, Kielecks durchdringendem Blick auszuweichen. Der hat seinen Spaß und starrt den jungen Mann weiter unbarmherzig an.
»Der Schlüssel ist so wichtig wie Ihr Schwanz! Begreifen Sie das besser schnell. Sie schätzen doch wohl Ihren Schwanz, nicht wahr? Nun, jetzt stellen Sie sich einen Moment vor, eines dieser Monster bekommt Ihren Schlüssel, also Ihren Schwanz, in die Finger. Was glauben Sie wohl, werden die damit machen? Richtig, dann sind wir alle gefickt. Wir haben es hier mit Psychopathen zu tun. Die würden Ihre Frau töten, um diesen Schlüssel zu bekommen. Sind Sie überhaupt verheiratet? Nein? Na, egal. Die würden auch Ihre Schwester töten. Jawohl, vergewaltigen! Zu Tode ficken, verschleppen und in einem Wald vergraben, oder andersrum. Wer weiß das schon? Sie etwa? Nein, ganz sicher nicht. Also haben Sie das jetzt verstanden?«
»Ja, ich denke schon, Herr Kieleck.«
Kieleck schenkt ihm sein freundlichstes Lächeln.
»Dann ist’s ja gut.«
Plötzlich, mit einer Geschwindigkeit, die man seinem massigen 90-Kilo-Körper gar nicht zutrauen würde, springt er aus seinem Bürostuhl und klatscht in die Hände.
»Auf geht’s! Lassen wir die Hunde los! Jetzt werden wir einigen der gefährlichsten Menschen der Welt gegenübertreten. Ich hoffe, ich kann auf Sie zählen.«
Kieleck klopft seine Taschen ab.
»Haben Sie irgendwo meinen gottverdammten Schlüssel gesehen? Ständig verleg ich das Mistding.«
Auf der Uhr ist es fünf nach halb. Wegen Kielecks Monolog würde es für die Gefangenen heute nur 55 Minuten Hofgang geben. Am allerwenigsten interessieren Kieleck in dieser Hinsicht irgendwelche Beschwerden. Schließlich kontrolliert er die Ein- und Ausgangspost. Das wären nicht die ersten Beschwerden, mit denen er sich den Arsch abwischt.

Aktuelles von und für die Presse

 
 
Ute Bales erhält den Publikumspreis der Gruppe 48 für ihre Kurzgeschichte »Überleben«, nachzulesen in »Keiner mehr da« >>

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