»Flussgeschmack« Peter Friesenhahn
Eine Moselreise der besonderen Art.
Eine Moselreise
»Woher kommt das ganze Moselwasser?«, fragte ich als kleiner Junge.
»Von oben«, klärte mich mein Vater auf, »aus den Bergen der Vogesen.« Er schaute in einem dicken Atlas nach und konnte mir dann genau sagen: »Die Mosel entspringt in Frankreich in den Vogesen in 715 Metern Höhe, die Quelle befindet sich nahe dem Col de Bussang.«
Nun, als sieben- oder achtjähriger Junge konnte ich mit einem »Col de Bussang« wenig anfangen, aber in den Bergen und 715 Meter hoch, das war schon was. Das klang gut. Und eine Quelle war was Tolles. In unserem Wald war eine, da kam das Wasser in einer Erdmulde aus dem Boden.
Es sammelte sich und lief dann hinunter ins Tal. Wenn man mit den Fingern oder einem Ast dem Quellwasser nachbohrte, wurde das Wasser trübe und unsere Fantasie geweckt.
»Wir bohren immer weiter in den Berg hinein«, sagten wir, » bis wir an der Stelle sind, wo das Wasser gemacht wird.«
So eine Quelle war Spiel und Lernplatz zugleich. Und bei der Moselquelle wollte ich auch gerne mal vorbei schauen. Leider hatten wir in den fünfziger Jahren noch kein Auto und so kam es erst viel später dazu, dass ich dort hinfuhr. Als ich den Führerschein und mein erstes Auto hatte, war tatsächlich meine erste größere Tour an die Flussquelle nach Frankreich.
Mein Bruder und ein Freund begleiteten mich auf dieser ersten Auslandsreise.
Als Autofahrer lernte ich nun die serpentinenreichen Straßen rund um den »Col de Bussang« kennen und als wir die steinerne Quellfassung erreichten, die »Source de Moselle,« waren wir ein wenig enttäuscht.
Eine Steinsäule stand etwas verloren auf einem sonst leeren Platz.
Aus einem Mauerloch lief aus einem steinernen »M« ein Rinnsal in ein steinernes Becken.
Der Überlauf ließ das Wasser in eine Steinrinne fließen, die sich über den öden, großen von Hecken umstandenen Platz schlängelte. In die Mauer war ein Messingband eingelassen, das den Lauf der Mosel ungefähr darstellte. An vielen Schleifen und Mäandern waren die Namen der Städte und Dörfer eingraviert, an denen die Mosel vorbeifloss. Bussang, Nancy, Metz, Trier, Bernkastel, Traben-Trarbach, Zell. Wir vermissten den Namen unseres Ortes, viel später erfuhr ich, dass eine Gemeinde viel Geld bezahlen musste, um auf dieser Steinmauer als Ortsname zu erscheinen. So viel Geld hatte unsere Gemeinde anscheinend nicht gehabt. Bad Bertrich schon, komisch, der Ort liegt zwar nicht an der Mosel, aber auf der Mauer ist er als Moselort erwähnt.
Übrigens, die Mosel entspringt hier in den Vogesen nicht bei Kilometer 0, nein, sie ist ja was besonderes, die Elbe, der Rhein, die Lahn, alle Flüsse fangen bei 0 an.
Sie aber fängt bei Kilometer 544 an und fließt bei Flusskilometer 0 in Koblenz in den Rhein.
Reichlich kapriziös dieser Fluss. Das lässt er schon am Anfang spüren.
Wir machten damals einen Spaziergang in den Wald hinter der Quellfassung und wollten die eigentliche Quelle suchen. Der öde, steinerne Platz hier ist ja nur für Touristen gemacht, so dachten wir. Gleich hinter dem Platz geht es steil in die Vogesenberge. Aus unzähligen Mulden, kleinen Tälern, aus der Höhe kommen kleine Bäche, Rinnsale, vereinigen sich, werden größer, fließen an moosbewachsenen Felsen vorbei, schlängeln sich durch Gebüsch und Farne, bilden erste kleine Wasserfälle, ein unglaublicher Wasserreichtum am »Col de Bussang«.
Es war für uns nicht auszumachen, wer von den vielen kleinen Wasserläufen die Original Moselquelle war. Wir fuhren sogar bis auf den Gipfel des Drumonts, den Berg hinter der Quelle. Oben in 1200 Metern Höhe wehte die Tricolore und wir hatten einen wunderbaren Blick auf die vor uns liegende Vogesenlandschaft.
»Ganz einfach«, sagten wir damals, »der Berg Drumont ist das Quellgebiet der französischen Mosel.«
Zurück am Parkplatz machten wir in den Papierkörben noch eine Entdeckung, die ich bei den folgenden Besuchen an der Quelle immer wieder bestätigt bekam: Leere, ausgetrunkene Moselweinflaschen. Mal lag ein leeres »Piesporter Goldtröpfchen,« mal eine ausgetrunkene »Zeller schwarze Katz« in den Abfallkörben des Platzes.
Leere französische Weinflaschen habe ich dort nie entdeckt.
Natürlich hatten wir damals eine Flasche Moselriesling dabei. Wir prosteten dem Rinnsal Mosel zu, ein Hoch auf den Fluss, die leere Flasche »Pündericher Marienburg« kam natürlich zu den anderen, leeren Moselweinflaschen in den Abfallkorb.
In diesem Moment fühlte ich mich als Moselaner. Als dazu gehörig, so können leere Weinflaschen Identität stiften.
Seit der ersten Tour bin ich schon öfter wieder hier gewesen, hier begann zum Beispiel eine Tandemtour, die ich mit meiner Frau in den achtziger Jahren nach dem Motto »Von der Quelle bis zur Mündung« machte.
Auch zu Filmaufnahmen für einen gleichnamigen Film war ich immer wieder mal da.
Und immer der neugierige, dann belustigte Blick in die Papierkörbe. Wer von wo an der Mosel war hier gewesen?
Doch nicht nur an ausgetrunkenen Moselweinflaschen, sondern auch an anderen offensichtlicheren Zeichen merkt man, dass viele Moselaner hier zu diesem öden Platz pilgern, man sieht auf einer hölzernen Bank, dass die Pensionäre der Moselwasserkraftwerke ihrem indirektem Arbeitgeber, dem Fluss, ein Dankbarkeitsvotivtäfelchen angebracht haben. Noch eine andere Tafel: der Jahrgang 1939 aus Graach war hier. Celine und Stephan aus Bernkastel haben 1998 ihren Namen in die Bank eingeritzt, die Wanderburschen Peter, Gerhard und Ewald aus Trier haben ebenfalls der Quelle einen Besuch abgestattet. Aber kein Franzose hat sich hier verewigt.
Das macht mich nachdenklich.
Keine leeren Rotweinflaschen, keine französischen Votivtafeln.
Es stellt sich mir nun die Frage, gibt es den französischen Moselaner? Dieser Frage will ich bei meiner neuen Reise nachgehen. Denn von hier aus fließt die Mosel 280 Kilometer durch Frankreich. Somit fließt sie länger durch Frankreich als durch Deutschland.
Los geht’s mit meiner Reise der Mosel entlang.