»Bier mit DIR« Marion Bischoff & Tina Grashoff
1. Pirmasens: Sonntag, 6. Juli
bierbauchgefühl.de
Blogeintrag
Ein Bier ist wie das Leben. Erst kommt der Schaum und dann, nach einem großen Schluck, der volle Geschmack. Manchmal lieblich, manchmal herb.
Ben lehnt sich in seinem Stuhl zurück und liest sich die eben getippten Zeilen noch einmal durch. Zugegeben, sie klingen ein bisschen altklug. Aber es ist etwas Wahres dran, findet er. Manchmal kann man ein gutes Bier in einem Zug leeren und manchmal ist es schon nach dem ersten Schluck zu bitter. Eben genau so wie das Leben. Nur dass einem beim Bier schon ein lauter Rülpser Erleichterung bringt.
Durch das geöffnete Fenster seines Arbeitszimmers kommt ein kühler Windhauch. Vermutlich einer der Letzten, bevor in ein, zwei Stunden die Hitze zurückkehrt. Irgendwo in einem Baum singt eine Amsel, ansonsten ist es ruhig. Pirmasens schläft noch. Erschöpft von einem überraschend heißen Sommer, der noch nicht zu Ende ist. Ben klickt auf die Wetter-App seines Computers. Es soll wieder über 30 Grad werden. Wenigstens muss er heute, am Sonntag, nicht ins Büro. Es würde ihn jedoch nicht wundern, wenn er demnächst vierundzwanzig Stunden, sieben Tage die Woche arbeiten müsste, damit sie das neue Projekt in der Firma schaffen. Diesen riesigen IT-Auftrag von Winterfeld, der für die Firma ein Glücksfall und eine Herausforderung gleichermaßen ist.
Wenn sie den termingerecht hinkriegen, dann haben sie endgültig einen richtig guten Namen. Ben wischt den Gedanken an die Arbeit weg und trinkt einen Schluck Kaffee. Er liebt Sonntagvormittage. Zu Hause. Am PC, in Ruhe, ohne Stress, ohne …
Die Tür fliegt auf und Gabi steht im Türrahmen. In ein schreiend buntes Fahrrad-Outfit gekleidet, stemmt sie beide Hände in die Hüften. Ihr Gesichtsausdruck passt so gar nicht zu einem entspannten Sonntag. »Ich nehme an, du möchtest lieber vor deinem Computer hängen, als mit uns Fahrrad zu fahren?«
»Wer ist uns?«, fragt Ben zurück.
»Carla, Mike, Tom und noch ein paar andere. Wir wollen die Husterhöhe-Tour machen und danach noch in den Biergarten.«
»Gute Idee, macht das. Ich kann leider nicht. Ich muss dringend noch was für morgen vorbereiten. Keine Ahnung, wie lange das dauert«, antwortet Ben und sieht sofort, dass das nicht die richtige Antwort war. Gabis Augen verengen sich zu Schlitzen. »Es hätte mich auch überrascht, wenn du mal etwas anderes tun würdest, als vor deinem behämmerten PC zu sitzen!«
»Gabi, ich muss arbeiten. Ich habe noch …«
»Es ist Sonntag, Ben! Weißt du, was das ist? Da haben Menschen frei und unternehmen etwas Schönes. Vielleicht sogar mit ihrem Partner, für den Fall, dass sie noch wissen, wie der überhaupt aussieht!«
Ben schließt kurz die Augen und atmet tief durch. »Ich habe dir gesagt, sobald wir die Basis für das Winterfeld-Projekt erarbeitet haben, wird es ruhiger. Dann können wir beide was unternehmen oder vielleicht auch mal ein paar Tage wegfahren.«
»Klar. Aber vorher kommt noch ein anderes Projekt und noch eins und noch eins. Und wenn es keine Arbeit ist, dann ist es dein blöder Bier-Blog, für den du noch etwas tippen willst. Du gehst mir tierisch auf die Nerven.«
»Es ist schön, wenn einem die Partnerin so viel Verständnis entgegenbringt, wenn man bis zum Hals in Arbeit steckt«, entgegnet Ben, und seine Worte klingen schärfer als beabsichtigt.
»Dann pass schön auf, dass du bald überhaupt noch eine Partnerin hast. Ich habe nämlich keine Lust mehr, darauf zu warten, dass du dir mal die Ehre gibst, aus deinem Arbeitszimmer herauszukommen. Hast du mal aus dem Fenster gesehen? Die Sonne scheint. Dieses gelbe Ding am Himmel. Alle Leute gehen raus und genießen den Sommer. Nur Herr Benjamin Melcher sitzt wie eine Kellerleiche vor dem Computer.«
»Moment mal! Warst du es nicht, die gesagt hat, ich soll den Job bei Pfalz-IT unbedingt annehmen? Weil der so gut bezahlt ist? Wohl wissend, dass ich da voll eingebunden sein werde? Dass es eine Zeit dauern kann, bis der Laden richtig läuft?«
»Ach hör schon auf, Ben. Ich kann es nicht mehr hören. Für wen hältst du dich eigentlich? Für Bill Gates? Selbst der wird wohl an Sonntagen mal nicht gearbeitet haben. Wir sind hier auch nicht in Silikon Valley, Ben. Das hier ist Pirmasens. Mit lauter grünem Wald drum rum. Oh, und es gibt sogar Cafés und Biergärten, Restaurants und ein Kino. Nur das scheinst du vergessen zu haben«, knurrt Gabi.
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Glaubst du ernsthaft, ich hätte Einfluss darauf, welche Aufträge der Eichmann annimmt? Die Arbeit macht sich nicht von alleine.«
»Na klar, und ohne dich geht da gar nichts. Du hast ja auch keine Kollegen. Nur du alleine kannst die ganze IT-Welt retten!«
»Schatz, verdammt! Im Moment ist es wirklich schwierig, mich da rauszuziehen. Ich kann den Eichmann jetzt nicht sitzen lassen. Und Timo erst recht nicht!« Ben steht auf und geht einen Schritt auf seine Freundin zu.
»Weißt du, was du mich mal kannst?« Gabi dreht sich um, schnappt sich im Flur ihren Fahrradhelm, Rucksack und Schlüssel und geht zur Tür. »Viel Spaß mit deinem Computer! Du brauchst später nicht auf mich zu warten. Aber das tust du ja sowieso nicht«, zischt sie und knallt die Wohnungstür hinter sich zu.
Na super, denkt Ben. So viel zum Thema Leben und bitterer Geschmack. Da ist der Genuss von Bier um einiges unkomplizierter.