Leseproben ausgewählter Bücher

»Simon – Der Großmuttereinsatz« Marion Bischoff

Zuviel Lob

 

Nach Schulschluss holte Simon sein Mountainbike vom Fahrradparkplatz. Er zurrte die Gurte seines Rucksacks enger und setzte den Helm auf. Der war die Belohnung von Mama für sein letztes Zeugnis gewesen. Sie hatte ihm das nachtleuchtende Teil versprochen und zumindest dieses Versprechen eingehalten. Er schwang sich auf den Sattel und fuhr Schlangenlinien um die Bäume der langen Allee.
Vor dem Gartentor von Joschis Großmutter bremste er. Seine Klassenkameraden Luca und Daniel hockten dort auf den Sandsteinen neben der Haustür.
»Hallo Leute.« Simon hielt sich mit einer Hand am schmiedeeisernen Gartentor fest.
»Achtung, hier kommt der Superstar der Lehrer!« Joschi, der Chef der Clique, sprang aus der Haustür und grinste so breit, dass Simon sogar seine Backenzähne erkennen konnte.
»Zieh Leine«, brummte Luca, ohne aufzuschauen.
Simon atmete durch. Am liebsten hätte er gebrüllt: »Ich wollte doch das dämliche Lob von Herrn Schuster gar nicht!« Stattdessen fragte er: »Was macht ihr denn so?«
»Sicher nicht Mathe lernen«, entgegnete Joschi und drehte ihm den Rücken zu.
Die anderen beiden wandten sich ebenfalls von ihm ab.
Hinter dem Fenster bemerkte er Joschis Oma. Sie lächelte freundlich. Er verharrte am Gartentor und startete noch einmal einen Annäherungsversuch. »Geht ihr Fußball spielen? Und könnt ihr vielleicht noch ’nen Mitspieler brauchen?«
»So viele Tore fallen bei uns nicht. Wir brauchen keinen Taschenrechner.« Joschi gluckste und die anderen beiden klopften sich grölend auf die Beine.
Der Kloß in Simons Hals ließ sich nicht mehr herunterschlucken. Leise sagte er: »Ich wollte eigentlich fragen, ob ich mitspielen kann.« Als keiner der drei reagierte, drückte er sich vom Tor weg und fuhr davon. Hinter sich hörte er das Lachen der Jungs. Er krallte sich an den Lenkergriffen fest und trat kräftig in die Pedale.
Zu Hause lehnte er sein Rad an die Hauswand und rannte die sechs Stufen hoch zum Eingang. Direkt hinter der Haustür kickte er seine Schuhe von den Füßen und knallte den Rucksack auf die Treppe, die zu seinem Zimmer führte. Dann schlurfte er über die Fliesen ins Wohnzimmer. Mit hängenden Schultern ließ er sich aufs Sofa fallen. Er zog sein Handy aus der Hosentasche. Papa hatte sich nicht gemeldet. Das hieß, er würde wohl noch nicht so schnell zuhause sein.
Simon öffnete den Chat mit Mama und schrieb: Hi Mum, ich habe eine Eins in Mathe.
Es dauerte nicht lange, bis sie antwortete. Hey, mein Schatz! Super! Ich freue mich. Belohnungspäckchen folgt. Was hättest du gerne?
Simon: Eigentlich wäre es mir am liebsten, wenn du da wärst.
Das Handy vibrierte und auf dem Display erschien Mamas Profilbild. »Ja, Mum?« Sein Hals brannte und er hatte Mühe, die Tränen hinunterzuschlucken.
»Hallo Großer.« Mama schwieg einen Moment. »Entschuldige, bei mir steht schon wieder jemand vor der Bürotür. Ich wollte dir nur sagen, dass ich nächste Woche heimkomme.«
»Ehrlich?« Simons Herz schlug schneller vor Freude. »Und wie lange bleibst du dann?«
»Wahrscheinlich zwei oder drei Tage.«
»Nur?« Es knackte in der Leitung. »Mama?«
»Ja, ich bin noch da. Es ist nur gerade jemand hereingekommen. Stell dir vor, die neue Brücke hier in Indien ist bald fertig.«
»Ach so. Schön.«
»Die sieht großartig aus mit den riesigen Stahlaufhängungen zwischen den Felsen.«
Er antwortete nicht.
»Simon? Hörst du mich? Wir machen uns die Tage richtig schön. Das verspreche ich dir.«
»Ja.« Simons Brust schmerzte, weil er schon jetzt daran dachte, wie er sich wieder von Mama verabschieden musste. Er zuckte die Achseln und rutschte auf dem kühlen Leder des Sofas hin und her.
»Es tut mir leid, mein Junge. Ich muss weitermachen. Sei fleißig. Und sag Paps liebe Grüße. Tschüss, mein Großer.«
»Tschüss. Ach, Mama …«
Tut-tut-tut-tut … Sie hatte schon aufgelegt.
Simon sah noch einmal auf das Display. Er wischte sich die Tränen von den Wangen und schob das Handy zurück in seine Hosentasche. Dann rappelte er sich auf, schulterte im Flur die Schultasche und trottete die Treppe hoch zu seinem Zimmer.
»Fleißig sein. Hervorragend«, murmelte er und nahm das Foto von seinem Schreibtisch, auf dem er mit Mama zu sehen war. Auf dem Bild lächelten sie sich an und seine Hand lag auf ihrer Wange. Die Jungs-Clique fiel ihm ein. Joschi ist ein cooler Typ. Der wird bestimmt mal Chef. Aber das ist er ja irgendwie jetzt schon. Je länger er an die drei Jungs dachte, desto mehr wünschte er sich, einmal mit ihnen einen Nachmittag zu verbringen. Und er wusste auch schon, was er tun würde, um dazu zu gehören.
Er nahm sein Englischheft aus der Schultasche, begann seine Hausaufgaben und lauschte immer wieder nach unten.

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