Marcel Bauer »Der Mäuserich«
Die Geschichte einer gescheiterten Pilgerfahrt
Schelme sind in dieser seelenlosen Zeit eine seltene Spezies. Einst gab es sie zuhauf. Sie wurden von vielen als Betrüger verachtet, doch die meisten zollten ihnen wegen ihrer Bauernschläue Respekt. Sie verstanden es ihre abstrusen Pläne zu verfolgen und alle Widersacher an der Nase herumzuführen. Insofern war Benno Bong ein Schelm aus echtem Schrot und Korn. Ein ideales Umfeld für seine Kapriolen bot das Vennland, ein Zwergstaat, der sich am Schnittpunkt von Eifel und Ardennen herausbildete. Dieses dünn besiedelte Gebiet, das Völkerkundler als »Kleingliedstaat« bezeichneten, war mit allen Attributen eines modernen Staates ausgestattet und gebärdete sich selbstbewusst als politischer Akteur.
In einem Spannungsfeld von Provinzialismus und Größenwahn, der für das Vennland charakteristisch war, wuchs Benno Bong auf. Bei den Pfadfindern erhielt er das Totem »Wackerer Mäuserich«, weil er vorwitzig, umtriebig und verlässlich wie eine Maus war.
Früh fiel Benno Bong durch mancherlei Eskapaden auf. Er überlebte eine Sturzflut, war nächtelang im Wald verschollen, legte einen Brand in einer Burg und löste eine Umweltkatastrophe aus. Insofern war er kein unbeschriebenes Blatt, als er die Bühne des öffentlichen Lebens betrat.
Nach erfolglosen Studien bestritt er sein Leben als Notarassessor. Als solcher machte er sich einen Namen, indem er den Gartenzwergen, die im Vennland schweren Verfolgungen ausgesetzt waren, wieder zu ihren Rechten verhalf. Großes Aufsehen erregte er, als er als »Friedensbotschafter« nach Afrika reiste, um ein für alle Mal die Hungerprobleme der Menschheit zu lösen.
Von Kindesbeinen hatte der Mäuserich den Traum, den Pilgerweg, der von Aachen nach Santiago de Compostela führte, neu zu beleben. Ein Lütticher Bischof aus dem elften Jahrhundert hatte »auf ewige Zeiten« eine Stiftung ins Leben gerufen, die sicherstellen sollte, dass die Pilger, die über die Via Podiensis nach Santiago de Compostela wanderten, sicher an ihr Ziel gelangten.
Besonders das Teilstück von Aachen nach Trier, der Öslinger Weg, galt als beschwerlich und gefährlich, denn es führte durch das unwirtliche Hohe Venn. Zu diesem Zweck verfügte der Bischof, dass sich auf Reinartzhof ein Einsiedler niederlassen sollte, der kranke und verirrte Pilger in einem Hospiz aufnahm.
Um dieses Versprechen einzulösen, quittierte der Mäuserich seinen Job als Notargehilfe und ließ sich zum Eremiten weihen. Den Stammsitz seiner Familie, der abseits in einem Wäldchen lag, verwandelte er in eine Einsiedelei. Vom Papst in Rom und den Patriarchen in Moskau und Konstantinopel wurde er mit heiklen diplomatischen Missionen betraut. Wegen seiner vielfältigen Verdienste um Kirche und Ökumene wurde ihm vom Aachener Domkapitel der Ehrentitel »Wächter des Domes« verliehen.
Der Mäuserich wusste die schönen Dingen des Lebens zu genießen und war besonders der Frucht des Rebstockes zugetan. Nachdem er sich aller beruflichen und familiären Pflichten entledigt hatte, machte er sich daran, seinen Lebenstraum zu verwirklichen.
Marcel Bauer »Der Mäuserich«
Broschur • 402 Seiten • ISBN 978-3-89801-470-0 • 16,90 Euro
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