Heiner Feldhoff »Pauline Leicher oder Die Vernichtung des Lebens«
Pauline Leicher, 1904 im Westerwalddorf Lautzert geboren, war eine geistig Behinderte. 1941 vollstreckten die Nazis an ihr den »Gnadentod« in der Gaskammer von Hadamar.
In ihrem Heimatort im Westerwald ist sie nahezu vergessen. Erste greifbare Spuren fanden sich im »Spiegelcontainer«, einem Mahnmal für die Euthanasie-Opfer in Andernach. Dort wird ihr Name nur angedeutet: Pauline L. Trotz fehlender Quellen und Dokumente – es existiert keine einzige Fotografie von ihr – hat Heiner Feldhoff wesentliche Ereignisse aus ihrem 37-jährigen Leben zusammentragen können.
Kindheit im Kaiserreich in einer armen, zehnköpfigen Arbeiterfamilie auf dem Lande, früher Tod des »Ernährers« auf der Charlottenhütte, einem Stahlwerk im Siegerland, Selbstmord des 11-jährigen Bruders. In den 20er Jahren landwirtschaftliche Hilfskraft; ihr Scheitern dann auch in einem Rüstungsbetrieb in der Hitlerzeit.
Das NS-Euthanasieprogramm basierte auf dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das gleich 1933 in Kraft trat – mit der Konsequenz, dass Menschen mit Behinderung zwangssterilisiert wurden, auch Pauline Leicher. Geschildert wird ihr persönlicher Leidensweg wie auch das gesellschaftliche Umfeld, nicht zuletzt das Versagen der Kirchen angesichts der Untaten in den sogenannten Heil- und Pflegeanstalten.
1940 wird Pauline Leicher in die Anstalt Andernach eingewiesen und von dort am 6. Mai 1941 im Rahmen der Euthanasie-Aktion »T4« nach Hadamar »verlegt«. Ermordung am gleichen Tag.
T4 war der Tarnname für die Adresse der Planungszentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4. In Hadamar, einer von sechs Tötungsanstalten im Deutschen Reich, gab es von Januar bis September 1941 über 10.000 Gasmord-Opfer. Auch nach dem Abbruch der T4-Aktion wurden in Hadamar bis zum Kriegsende weitere 5.000 Menschen mit Behinderung umgebracht.
Heiner Feldhoff, der seit Jahrzehnten im Heimatdorf der Pauline Leicher lebt, schreibt in sehr persönlichen Worten von seinem eigenen Widerstand gegen das Thema, von seinem Hinauszögern der Arbeit, seiner Scheu vor dem Besuch in Hadamar. Aber auch von der Überzeugung, mit seiner Gedächtnisschrift das Richtige, ja etwas Notwendiges zu tun.
Schon einmal hat der Autor das Leben eines Menschen aus seinem Westerwaldort beschrieben, nämlich das des bekannten Philosophen und Indologen Paul Deussen. Im Kontrast dazu jetzt die Lebensgeschichte einer gänzlich Unbekannten und Vergessenen. Er sei heilfroh, schreibt Heiner Feldhoff zum Schluss, dass er »ein ins Inferno verstoßenes Menschenkind über Raum und Zeit hinweg habe ein wenig begleiten dürfen.«
Heiner Feldhoffs Recherche verdeutlicht, wie sehr Verdrängung und Tabuisierung das Gedenken an die Opfer des Massenmords aus »rassenhygienischem« Wahn bis heute erschweren.
Heiner Feldhoff »Pauline Leicher oder Die Vernichtung des Lebens«
Klappen-Broschur • farbig • 158 Seiten • ISBN 978-3-89801-397-0 • 14,90 Euro
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