Die innere Freiheit der Johanna Ey
Sie war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Ihre Körperfülle war beeindruckend, die runde Brille mit den starken Gläsern ein Markenzeichen. Sie verband Menschenkenntnis mit Menschlichkeit, Anpassung mit Widerspenstigkeit und innerer Unabhängigkeit. Sie liebte die Düsseldorfer Altstadt und die Künstler, die bei ihr ein aus gingen: Johanna Ey.
Immer wieder wurde über sie geschrieben, an sie erinnert. In den sechziger Jahren forderte Heinrich Böll ein Denkmal für „Mutter Ey“, es folgten Dokumentationen, wissenschaftliche Arbeiten, Ausstellungen mit Bildern der „Ey-Künstler“, unzählige Zeitungsberichte, eine Oper, ein Spielfilm, ein Theaterstück.
Zeit also für einen Roman.
In ihrem biografischen Werk „Großes Ey“ geht die Autorin Ute Bales zurück in eine Zeit, in der die Leute fassungslos vor Bildern eines jungen Otto Dix oder Gert Wollheim stehen, deren expressive Kräfte wie Sprengsätze wirken. Es ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der Kunst politisch ist und damit Auslöser für Diskussionen und Kämpfe.
Der Roman beginnt mit einem Überfall junger Nazis auf Johannas Galerie und endet mit einem traumwandlerischen Gang durch verlorene Kunsträume und einem Tanz um Mäusekot. Erzählt wird der Reihe nach: von Johannas Anfängen als einfache Bäckerin und Versorgerin der jungen Akademiestudenten, vom Bezahlen mit Kunst, von ersten Bildverkäufen und von der Idee, mitten im Ersten Weltkrieg, eine Kunsthandlung zu eröffnen. Von traumatisierten Künstlern ist die Rede, die Johanna Bilder bringen, die wegen ihrer grellen Farben und ruppigen Formen anders sind als das, was in der Kunst Usus ist. Es ist mehr als gewagt, die Bilder auszustellen, für Johanna aber eine Selbstverständlichkeit. Ute Bales beschreibt eine tobende Bevölkerung, die kein Verständnis aufbringt, beschlagnahmte Bilder, verfolgte Künstler und eine stets am Rand der Existenz kämpfende Protagonistin, die in ihrer Haltung zur modernen Kunst immer eindeutiger wird. Mit ihrem unbändigen Freiheitswillen folgt Johanna Ey grundsätzlich ihrem Instinkt. Sie ist eine Frau, die an ihre Künstler glaubt und ihnen Verkäufe vorflunkert, die energisch durchgreift, wenn es ihr zu bunt wird, die ohne Geld, nur der Liebe wegen, nach Mallorca reist, von Nähe träumt, aber immer wieder auf den Boden der Tatsachen geworfen wird. So ist es kaum auszuhalten, als nach der Mallorcareise Boykottzettel der Nazis an ihren Schaufenstern kleben, die Bilder als entartet verhöhnt werden und Johanna mit ihrem Geschäft zum wiederholten Mal vor dem Aus steht. Immer mehr wird die Galerie zum Einfallsraum für die Nazis. Ein anfälliges Gelände also, in dem sie sich mit ihren Künstlern bewegt. Dennoch erscheint ihr Laden wie eine Insel. Ein Treffpunkt für Kommunisten, Exilanten, Verfolgte. Und Johanna, in der Mitte, ist keine, die aufgibt. Kein Schicksalsschlag wirft sie wirklich zu Boden.
Ute Bales erzählt einen geschichtsträchtigen Roman mit einer Fülle an historischem Material. Sie hat einen durchgängigen Ton für die Protagonistin und das gesamte Buch gefunden. Es ist eine eigene Melodie, mit einem kleinen Hang zum Ausschweifenden, manchmal opulent, bilderreich und in Farbe, mit der sie sich Johanna Ey und ihrem Künstlerkreis nähert.
Über die Beweggründe für ihren Roman sagt die 1961 in der Eifel geborene Autorin: „Ich bin mit Johanna Ey zurückgegangen in eine Zeit, in der es schwer war, tolerant zu sein, eine eigene Meinung zu haben und aufzubegehren. In Johanna habe ich eine starke Frauenfigur gefunden, die nicht nur für die rheinischen Künstler des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt hat, sondern auch als Frau beeindruckt. Als sie 1907 in der Düsseldorfer Altstadt eine kleine Brötchentheke eröffnete, war sie 43, hatte eine verheerende Ehe hinter sich, 12 Kinder geboren, acht davon verloren, und stand mit vier Kindern allein da. Sie hat es nicht nur geschafft, diese Kinder durchzubringen, sie war auch Gefährtin einer ganzen Künstlergeneration und zeigte einen unglaublichen Mut, als sie ihre Schaufenster für die völlig anders gearteten Bilder von Otto Dix oder Gert Wollheim frei räumte. Diese große innere Freiheit ist es, die ich darstellen wollte.“
„Großes Ey“ erzählt von den rheinischen Künstlern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und von einer Zeit, die von tief greifenden Umwälzungen in Lebensformen, Werten und Moralvorstellungen geprägt war. Die Künstlergeneration des letzten Jahrhunderts laborierte wie keine vor ihr an Fragen zur Wahrheit und Erkenntnis in der Kunst. Die Schärfe dieser Konflikte ist noch spürbar und hat den Weg geebnet für die heutige Freiheit in Kunst, Literatur und Musik. Daran wird im Roman „Großes Ey“ erinnert.