»Das Blaue vom Hunsrück«, Hubertus Becker
Erinnerungen an die 1950er und 60er Jahre auf dem Hunsrück
»Das Blaue vom Hunsrück« ist ein rätselhafter Titel. Erzählt der Autor uns das Blaue vom Himmel? Oder will uns der Autor damit sagen, dass der Erinnerung grundsätzlich nicht zu trauen ist, wie das an den Anfang des Buches gesetzte Motto des niederländischen Schriftstellers Cees Noteboom suggeriert: die Erinnerung ist ein Hund, der sich hinlegt, wo er will!
Hubertus Becker hat viele Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht. Er hat dort schreiben gelernt. Nach einem kritischen Sachbuch legt er nun eine Autobiographie seiner ersten zwanzig Lebensjahre im Hunsrück vor. Das Buch ist von Interesse sowohl für die Leser von „Heimat“-Literatur als auch für die kriminologisch Interessierten.
Zunächst liefert der Autor eine fast ethnographisch genaue Beschreibung des Aufwachsens in einem Hunsrückdorf. Da gibt es die Bewohner: von den Bauern über die Honoratioren bis zu den „Dorfdeppen“. Aber auch die Gerüche und Geräusche und das Alltagsgeschwätz. Und die Topografie der Äcker, Feldgehölze und Wälder. Dazwischen das Kind, mit seinen Freunden, für die der Ort ein einziger zusammenhängender Spielplatz war. Eine Idylle, von der eigentlich nur der prügelnde Schullehrer sowie der strenge Pfarrer und der Zwang zum Kirchgang ausgenommen werden. "Das Leben war unbeschwert, man ließ uns die Freiheit, die Kindern gut tut".
Mit dem Einsetzen der Pubertät wächst aber die Einsicht, dass man sich der engen sozialen Kontrolle nicht entziehen kann. Schon gar nicht im Internat, in das er mit 10 Jahren geschickt wurde, weil die nächste Oberschule mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar war. Und erst recht nicht bei der Bundeswehr, bei der er sich für zwei Jahre verpflichtete, weil er noch keine klare Vorstellung hatte, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Inzwischen war auch die Welt rund herum eine andere geworden: Fernsehen und Automobilisierung veränderten zunehmend die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Der Autor beginnt, sich durch kleine Widersetzlichkeiten und Regelverstöße, zunehmend auch Straftaten, Spielräume zu schaffen. Das Buch endet mit seinem Aussteigen aus der Landschaft seiner Kindheit und mit seinem Eintauchen in eine jahrelange Reise voller Abenteuer. "Aber das ist eine andere Geschichte", wie es auf der letzten Seite heißt. Die vorliegende Jugendbiografie ist anschaulich geschrieben und spannend zu lesen. Sie weckt Interesse an der abenteuerlichen Fortsetzung.
Hubertus Becker: Das Blaue vom Hunsrück - Erinnerungen an die 1950er und 60er Jahre auf dem Hunsrück
ISBN 978-3-89801-075-7, 342 Seiten, Broschur, VK 12,00 Euro
Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel