Marcel Bauer »Schattenkinder«
Von den vielen Aspekten des Holocaust, die die Forschung und die Belletristik in den letzten Jahrzehnten aufgearbeitet haben, ist einer vielfach übersehen und weithin unbekannt geblieben: die Rettung tausender jüdischer Kinder in Belgien während der deutschen Besatzungszeit. Dieses Vakuum wird mit dem Roman von Marcel Bauer »Schattenkinder – Eine Kindheit im Krieg«, der nun im Rhein-Mosel-Verlag in Zell/Mosel erschienen ist, geschlossen.
Die Nationalsozialisten bezeichneten Belgien, ein kleines kulturell zerrissenes Land, als »rassischen Mülleimer« Europas. Die meisten der 100.000 bis 110.000 Juden, die 1940 in Belgien ansässig waren, waren in den 30er Jahren als illegale Einwanderer und Flüchtlinge aus Mittel- und Osteuropa ins Land gekommen. Trotzdem überlebten 60 bis 70 Prozent von ihnen den Krieg. Ihnen blieb die Deportation in ein Arbeits- oder Vernichtungslager erspart, weil sie mit Hilfe der Bevölkerung rechtzeitig untertauchen konnten.
Diese in Europa beispiellose Rettungsaktion gelang dank des selbstlosen Einsatzes von einfachen Bürgern und Verantwortlichen von 225 privaten und kirchlichen Einrichtungen. So gründete Louis-Joseph Kerkhofs, Bischof von Lüttich, mit Hilfe des Rechtsanwaltes und Notars Albert Van den Berg in seinem Bistum ein Netzwerk zur Rettung jüdischer Kinder. Sie wurden unter falschem Namen in Internaten, Klöstern, Ferienheimen und Hospitälern versteckt.
Marcel Bauer schildert das Schicksal der jüdischen »Schattenkinder« am Beispiel des kleinen Joshua Rozenberg. Dank schriftlicher und mündlicher Erinnerungen und der Gespräche, die der Autor mit Zeitzeugen und Überlebenden führen konnte, entstand eine jüdische Familiensaga.
Die Familie Rozenberg stammte aus Lodz. Als Mitte der 30er Jahre in Polen der Antisemitismus um sich griff, beschloss sie auszuwandern. Während der Olympiade von 1936 reiste sie mit einem Touristenvisum ins Deutsche Reich ein und gelangte mit Hilfe von Schleppern über die grüne Grenze in der Eifel nach Belgien. Joshuas Vater Ariel eröffnete in Seraing, einer Industriestadt an der Maas, eine Metzgerei.
Als 1942 in Belgien die sogenannte »Endlösung der Judenfrage« anlief, wurden Joshua und sein Bruder Menahim zunächst in einem Wallfahrtsort versteckt. Danach lebten sie unter den Namen Pierre und Jean-Marie Thonnar in dem 350-Seelen-Dorf Stoumont in den Ardennen, wo der Pfarrer Marcel Stenne eine Ferienkolonie unterhielt. Fünfzehn bis zwanzig jüdische Jungen zwischen zehn und vierzehn Jahren wurden dort versteckt. Bei den Vinzentinerinnen, die im Dorf ein Erholungsheim unterhielten, überlebten weitere zwanzig bis dreißig jüdische Mädchen.
Der Autor schildert den Kriegsalltag der Kinder und die ständige Bedrohung als flüchtige Juden enttarnt zu werden. Im Dezember 1944, als der Krieg schon vorüber schien, holte er Joshua noch einmal ein, denn in Stoumont wurde eine der blutigsten Schlachten der Ardennenoffensive geschlagen. Joshua und sein Plüschhase Roro, die wie durch ein Wunder dem Krieg und der Vernichtung entronnen waren, gerieten noch einmal zwischen die Fronten.
Marcel Bauer »Schattenkinder« • Rhein-Mosel-Verlag, Zell/Mosel
Broschur • 420 Seiten • ISBN 978-3-89801-437-3 • 13,50 Euro
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