Von Mitläufern und Parteigenossen: NSDAP-Mitgleider als Internierte
Schuld und Sühne, Vergebung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft sind zentrale Botschaften des Christentums. Gerd Bayer aber zeigt in seinem neuen Buch, dass diese Prämisse jedoch nach dem 2. Weltkrieg nicht für alle Bevölkerungsschichten vorbehaltlos galt. Natürlich stand fest, dass der Nationalsozialismus und seine Vasallen nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa gewütet hatten. Aber waren wirklich alle der damaligen Parteigenossen unmenschliche Monster oder waren nicht viele davon lediglich kleine Mitläufer, die das Böse der Nazi-Herrschaft nicht in ihrer vollen Konsequenz abschätzen konnten? Fragen, die nach dem Kriege durch die Alliierten in Fragebögen und in Verhören gestellt wurden, dann während des aufkommenden Wirtschaftswunders verdrängt und vergessen wurden.
Der Autor verfolgt in seinem neuen Buch die Spuren dieser Menschen, die natürlich nicht gerne über die Zeit ihrer Inhaftierung sprechen. Trotzdem ging der Autor in die Archive, um schriftliche Zeugnisse einzusehen und zu bewerten. Dabei stellte er fest, dass der "Eisenbahner", der "Gelehrte" und der "Amtsbürgermeister", um nur einige Berufsgruppen stellvertretend zu nennen, wegen ihres Amtes in die NSDAP eintreten mussten, um keine beruflichen Nachteile zu haben. Plötzlich waren diese Personen mitten drin in einem Geschehen, das sie nicht überblicken konnten. Ihnen war nur daran gelegen, wie Millionen anderer Menschen auch, ihre Berufe auszufüllen und ihre Familien zu ernähren. Meistens kümmerten sie sich nur wenig um die politischen Abläufe.
Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" wurden sie wegen ihrer Parteizugehörigkeit alle in "einen Topf geworfen". Viele der kleinen Parteigenossen, die redlich ihrer Fragebogen ausfüllten, sahen sich Inhaftierungen ausgesetzt, derweil sich die großen Nazis neue Identitäten zulegten, schnell wieder Karriere machten oder auch nach Übersee verschwanden, um ihr hasserfülltes Gedankengut in anderen Ländern mit neuer Identität unter die Leute zu bringen.
Von diesen mehr oder weniger Mitläufern schreibt Gerd Bayer, von ihren manchmal menschenunwürdigen Aufenthalten in Internierungslagern, von ihrem Umgang mit der eigenen Schuld und ihrer Sehnsucht nach ihren Familien. Er beschreibt die Zustände in den Haftanstalten in Diez, Idar-Oberstein und Siershahn. Heraus kommt ein beklemmendes Stück deutscher Vergangenheit, die sonst zu kurz kommt. Gerd Bayer kommt in seinem Buch "Der Stuhl", erschienen im Rhein-Mosel-Verlag Zell, zu dem versöhnlichen Resümee, dass alle Ideologien, ob von rechts oder links, den Menschen versklaven und ihrer Würde berauben.
Heinz Kugel