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Rezensionen und Meinungen

Dieses Buch setzt neue Maßstäbe in der ostbelgischen Literatur

 

Besprechung des zweiten Romans „Schattenkinder“ von Marcel Bauer

 

Die Aufarbeitung eines bedeutenden regionalhistorischen Kapitels

 

Ich habe bereits einige Bücher des Eupener Autors Marcel Bauer mit Interesse gelesen. Waren es früher anspruchsvolle Sachbücher (u.a. über den Architekten Johann Joseph Couven, über den Eupener Karneval oder „Das gläserne Gedächtnis“ über die Sammlung Franken), so sind es seit einigen Jahren Romane. Nach „Shango - Im Bann des Voodoo“ legte der Schriftsteller im letzten Sommer mit „Schattenkinder“ seinen zweiten Roman vor.
Von den vielen Aspekten des Holocaust, die die Forschung und die Belletristik in den letzten Jahrzehnten aufgearbeitet haben, ist einer vielfach übersehen und weithin unbekannt geblieben: die Rettung tausender jüdischer Kinder in Belgien während der deutschen Besatzungszeit. Dieses Vakuum wurde mit dem Roman „Schattenkinder - Eine Kindheit im Krieg“ geschlossen.

 

Antisemitismus
Die Thematik des spannenden Romans ist heute relevant, da antisemitische Vorurteile noch immer präsent sind. Sie sind langlebig genug, um immer wieder neue Generationen von Menschen zu erreichen, unabhängig davon wo sie leben und welche politischen Auffassungen sie haben. Antisemitische Schmierereien und Verwüstungen, verbale und tätliche Angriffe auf jüdische Mitmenschen kommen auch heute noch vor. Die Zahl der antisemitischen Vorfälle hat sich beispielsweise in Deutschland im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt.
Deshalb sollte man m.E diesen Roman von Marcel Bauer als Pflichtlektüre für hiesige Mittelschüler einführen, zumal die auf Tatsachen beruhende Geschichte in unserer Region spielt und der Preis des umfangreichen Taschenbuches sehr sozial ist. Dieses Buch könnte dazu beitragen, unangebrachte und unberechtigte Vorurteile gegenüber Juden abzubauen.

 

Familiensaga
Die Idee zu seinem Roman kam dem Autor vor zwanzig Jahren, als er im Auftrag des WDR in den Ardennen den Kurzfilm „Verlorene Kinder“ über das Schicksal von Überlebenden des Holocaust und ihren Helfern drehte. Marcel Bauer schildert das Schicksal der jüdischen „Schattenkinder“ am Beispiel des kleinen Joshua Rozenberg. Dank zahlreicher authentischer Quellen entstand eine jüdische Familiensaga. Die Familie Rozenberg stammte aus Lodz. Als Mitte der 30er Jahre in Polen der Antisemitismus um sich griff, beschloss sie auszuwandern. Während der Olympiade von 1936 reiste sie mit einem Touristenvisum ins Deutsche Reich ein und gelangte mit Hilfe von Schleppern über die grüne Grenze in der Eifel nach Belgien. Joshuas Vater Ariel eröffnete in Seraing, einer Industriestadt an der Maas, eine Metzgerei.
Als 1942 in Belgien die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ anlief, wurden Joshua und sein Bruder Menahim zunächst in einem Wallfahrtsort versteckt. Danach lebten sie unter den Namen Pierre und Jean-Marie Thonnar in dem 350-Seelen-Dorf Stoumont in den Ardennen, wo der Pfarrer Marcel Stenne eine Ferienkolonie unterhielt. Fünfzehn bis zwanzig jüdische Jungen zwischen zehn und vierzehn Jahren wurden dort versteckt. Bei den Vinzentinerinnen, die im Dorf ein Erholungsheim unterhielten, überlebten weitere zwanzig bis dreißig jüdische Mädchen. Der Autor schildert detailreich den Kriegsalltag der Kinder und die ständige Bedrohung als flüchtige Juden enttarnt zu werden. Im Dezember 1944, als der Krieg schon vorüber schien, holte er Joshua noch einmal ein, denn in Stoumont wurde eine der blutigsten Schlachten der Ardennenoffensive geschlagen. Joshua und sein Plüschhase Roro, die wie durch ein Wunder dem Krieg und der Vernichtung entronnen waren, gerieten noch einmal zwischen die Fronten…

 

Exzellent
Ich habe den Roman „Schattenkinder“ im vergangenen Sommer in wenigen Tagen verschlungen. Er hat mich gefesselt bis zur letzten Seite. Hier stimmen nicht nur die regionalhistorisch brisante Thematik, sondern auch der logische Aufbau, die gekonnt inszenierten Spannungsbögen, der klare Schreibstil und nicht zuletzt die sozial-politische Botschaft. Diesen Eindruck bestätigte auch ein Leser, der dem Autor enthusiastisch schrieb: „Auf diesen Roman haben wir in Ostbelgien lange warten müssen...“. So fand das Buch in der kulturell tristen Corona-Zeit rasch viele Leser und liegt nun bereits in zweiter Auflage vor.
In meinen Augen setzt dieser exzellent geschriebene Roman von Marcel Bauer neue Maßstäbe in der ostbelgischen Literatur. Er gehört mit zum Besten, was je in der kleinen Deutschsprachigen Gemeinschaft verfasst worden ist. Dieser Roman wird sicherlich Erfolg haben und möglicherweise schon bald ins Französische übersetzt werden.

 

Gerd Havenith (Eupen)

 

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